Bei einem Treffen mit Kanzler Christian Stocker in Belgrad wies der serbische Präsident Aleksandar Vučić alle Vorwürfe einer autoritären Herrschaft zurück: „Ich bin kein Diktator, wie man mich darstellt.“ Gleichzeitig versicherte er „nie wieder als Präsident Serbiens anzutreten“ und auch die serbische Verfassung nicht ändern zu wollen. Obwohl die der Grund für seinen Amtsverzicht ist. Sie begrenzt das serbische Präsidentenamt auf maximal zwei aufeinanderfolgende Perioden.
Vučić, der seit 2017 Präsident ist und 2022 wiedergewählt wurde, könnte somit nicht erneut kandidieren, auch wenn er wollte. Offen ließ er jedoch, ob er sich vollständig aus der Politik zurückziehen werde.
Vučić Unschuldsbeteuerung ist weder mit Applaus zu belohnen, noch als gegeben anzunehmen. Oppositionspolitiker warnen: „Die Macht ist dort wo Vučić ist, egal wo.“
„Natürlich bezeichnet er sich nicht als Diktator. Tatsächlich ist er jedoch ein autoritäre Herrscher, der sich mit undemokratischen Mitteln an der Macht hält“, sagt Florian Bieber, Zentrumsleiter der Südosteuropastudien an der Universität Graz. „Er hat schon öfter angekündigt, dass er sich aus der Politik zurückziehen würde, aber das waren alles nur hohle Phrasen.“ Bieber vermutet, Vučić werde zwar nicht für eine dritte Amtszeit kandidieren, das bedeute aber noch lange nicht, dass er sich politisch zurückzuziehen werde.
Wie das gehen kann, zeigt ein Beispiel. Milo Djukanovic in Montenegro war zunächst Präsident, dann Premierminister, dann nur Parteivorsitzender, dann wieder Präsident. Unabhängig vom Amt blieb die Macht in seinen Händen. Ähnlich könnte es laut Bieber auch in Serbien sein. „Die Macht ist so stark in den Händen Vučić konzentriert, dass er sie auch in anderen Ämtern ausüben könnte.“
Auch Peter Techet, promovierter Jurist, Historiker und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für den Donauraum und Mitteleuropa (IDM) teilt diese Vermutung: „Es mag sein, dass er dieses Versprechen formell wirklich einhält, aber er kann Macht auch als Ministerpräsident oder als Parteivorsitzender ausüben.“ Im Präsidentschaftsamt würde ihm dann eine Marionette folgen. Techet bezeichnet Vučićs Behauptungen, er sei kein Diktator als „eine pure Heuchelei“.
Vučić betitelt sich selbst immer wieder als Demokrat und stützt sich auf Wahlerfolge, doch die Realität sieht anders aus. Florian Bieber sieht die serbische Demokratie in Schieflage. „Die Wahlen sind weder frei noch fair“, sagt er. „Es gibt starke Einschränkungen der Medienfreiheit, Oppositionsparteien und Regimekritiker werden immer wieder verunglimpft und angegriffen, es gibt eine Machtkonzentration auf Vučić, die nicht der Verfassung entspricht.“
Auch andere Experten sehen das so und betiteln das Parlament, die Justiz, Armee und Polizei, sowie alle bedeutende politischen Institutionen Serbiens als Marionetten Vučićs.
Die Pressefreiheit in Serbien erreicht einen kritischen Tiefpunkt. Jasmikn de Zeeuw von der Free Press Unlimited Group beschrieb die Situation als „beispiellose Krise der Medien in Serbien“. Demnach haben sich Angriffe auf Journalisten im Vergleich zum Vorjahr verdoppelt.
Besonders problematisch waren 56 Vorfälle im Zusammenhang mit der Berichterstattung über die Tragödie am 1. November 2024 in Novi Sad. Bei dem Einsturz eines Bahnhofsvordachs starben 16 Menschen. In der Folge kam es zu Protesten, bei denen Demonstrierende Korruption und Misswirtschaft als Ursache des Unglücks kritisierten. Seither gibt es in Serbien unter Studierenden, Lehrern und anderen Arbeitern massiven Widerstand gegen die autoritär agierende Regierung.
Die von der Free Press Unlimited Group dokumentierten Vorfälle inkludierten körperliche Attacken, Todesdrohungen, Online-Verleumdungskampagnen, Durchsuchungen von Büros ohne Durchsuchungsbefehl, sowie Blockierungen von Journalisten und Medien.
Laut Reporter ohne Grenzen wird der Journalismus in Serbien systematisch unterdrückt, während die europäischen politischen Führungspersönlichkeiten weiterhin in einem Zustand schuldhaften Nichtstuns verharren.
Jamie Wiseman, ein Advocacy-Beauftragter des International Press Institute, erklärte, Serbien gehöre zu den Ländern in Europa mit dem höchsten nachgewiesenen Einsatz von Spionagesoftware gegen Journalisten, die zudem mit Klagen von hochrangigen Amtsträgern und öffentlichen Persönlichkeiten konfrontiert werden.
Auch heute kam es erneut zu heftigen Ausschreitungen in Novi Sad. Kritiker und Anhänger der Regierung bewarfen sich gegenseitig mit Feuerwerkskörpern und weiteren Gegenständen. Laut örtlichen Medien musste die Polizei massiv eingreifen, unter anderem mit Tränengas. Mindestens 64 Zivilisten und fünf Militärpolizisten wurden verletzt.
Vučić bezeichnete die Protestierenden als “Schläger und Mörder” und wolle sie aus Belgrad und Novi Sad “entfernen” lassen. „In der Nacht von 13. und 14. August kam sogar das Militär gegen Demonstranten zum Einsatz“, so Peter Techet. Vučić sei bereit, die Proteste notfalls mit Gewalt zu beenden.
Die Medienlandschaft erodiert zu einer einfarbigen Masse aus Jubelblättern, die Vučić Heldenorchestrierung in Endlosschleife drucken. Er erscheint jeden zweiten Tag auf den Bildschirmen der nationalen TV-Sender, die seine stundenlangen Monologe ausstrahlen, was die Einschätzung von Psychologen bestätigt, die ihn als aufmerksamkeitssüchtigen Narzissten nahtlos in die Reihe aller autoritären Herrscher unserer Zeit einordnen.
Die politischen Gegner im Land sind fragmentiert, marginalisiert und erscheinen ohne Einfluss. „Da die Opposition ideologisch sehr heterogen ist, und sowieso weiterhin schwach, ist ein Systemwechsel einerseits fraglich, andererseits würde sie auch nicht unbedingt eine Demokratisierung und Westorientierung des Landes mit sich bringen,“ sagt Techet.
Regelmäßig inzensiert Vučić Konflikte mit Nachbarsländern und dramatisiert sie mit militärischer Alarmbereitschaft, nur um sie dann abrupt zu entschärfen. Westlichen Ländern soll damit das Bild eines Heilsbringers vorgegaukelt werden, ein Bild von Vucic als Dreh- und Angelpunkt der Macht im Balkan.
Serbien ist seit mehr als zehn Jahren EU-Beitrittskandidat, doch Brüssel äußert sich nur verhalten kritisch. „International gelingt es ihm gut, durch Deals Unterstützung zu sichern. Scholz und Merkel haben Vučić immer unterstützt, zuletzt wegen der geplanten Lithiummine in Westserbien,“ erklärt Florian Bieber.
Die geplante Lithium-Mine des Unternehmens Rio Tinto im Jadar-Tal führt seit Jahren zu Protesten, denn Anwohner haben Angst um das Grundwasser, das durch das Lithium verseucht werden könnte. Lithium kommt bei der Herstellung von Batterien für Elektrofahrzeuge zum Einsatz.
„Leider waren die EU und viele EU-Staaten gegenüber Vučić lange positiv eingestellt. Sie meinten, Vučić sei der einzige, der eine gewisse Stabilität aufrechterhalten könne und zugleich auch den wirtschaftlichen Interessen westlicher Mächte, etwa im Hinblick auf das Lithium, diene“, sagt Techet.
Ein Regimewechsel könnte diesbezügliche Pläne westlicher Firmen gefährden, weshalb viele westliche Politiker „leider zu zurückhaltend“ bei Kritik an Vučić seien, so Techet.
Obwohl Vučićs Unterstützung in Serbien stark geschwunden ist, speist sich seine Anhängerschaft laut Bieber nach wie vor aus zwei Kontexten. Zum einen aus Menschen, die durch den fehlenden Medienpluralismus ausschließlich seine Propaganda konsumieren und das offizielle Narrativ übernehmen, die Demonstranten seien Verräter oder Irrgeleitete. Andere Unterstützer seien fest ins System Vučić eingebunden. Tausende Parteimitglieder seien von ihrer Zugehörigkeit abhängig, viele verdienen ihren Lebensunterhalt durch die Partei und fürchten um Job oder Privilegien, sollten sie sich dem Präsidenten entgegenstellen.
Stockers joviales Treffen mit dem serbischen Präsidenten wirkt so deplatziert. Es sei denn, Stocker hat sich auf die gute österreichische Tradition aus der Ära Kreisky besonnen, auch mit Diktatoren auf gutem Fuß zu stehen.
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