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Wenn Hunger die Seele frisst – Tumblr, Teenager & Essstörungen

Auf Tumblr blüht eine düstere Subkultur, die Magersucht romantisiert und gefährliche Ideale verbreitet. In dieser digitalen Ecke finden sich junge Menschen, die sich von extremen Körpervorstellungen und einem selbstzerstörerischen Lebensstil angezogen fühlen.
Johanna Rainer  •  18. Januar 2025 Schülerin      12
Die Gründe für Essstörung sind vielfältig (Foto: Shutterstock)

“Ich wünschte ich wäre dünn, denn wäre ich es, würde der Mangel an Fett vielleicht den Mangel an Liebe ausgleichen, den ich für mich selbst empfinden kann.”

“So viele Dinge, die ich nicht unter Kontrolle habe, aber immerhin kann ich entscheiden was ich esse.”

“Ich fühle mich nur schön, wenn ich hungrig bin.”

Perfektion um jeden Preis

In einer Gesellschaft, die von Perfektion getrieben wird, stehen Schönheitsideale im Fokus. Besonders Teenager leiden unter diesem Druck. Auf Plattformen wie Tumblr finden sich Inhalte, die extrem dünne Körper als Ideal darstellen. Ziel ist nicht bloß Schlankheit, sondern Abmagerung: Sichtbare Schlüsselbeine, dünne Gliedmaßen und hervorstehende Wangenknochen. Die sogenannte „Pro-Ana-Community“ bietet Tipps zum Hungern, gefährliche Diäten und verstörende Challenges – alles für den „Heroin Chic“-Look der 2000er.

Die Pro-Ana-Community und ihre Mitglieder

Wer sind die Menschen hinter diesen Profilen, und warum werden solche Communities nicht geschlossen? Tumblr, ursprünglich für kurze Blogeinträge und Kommentare gedacht, wurde zur Heimat für Subkulturen – darunter die „Pro-Ana-Community“. Der Name leitet sich von „Anorexia nervosa“ ab, der medizinischen Bezeichnung für Magersucht. Diese Gruppen verherrlichen extreme Schlankheit und streben obsessiv nach Gewichtsverlust. Für viele endet diese gefährliche Obsession tödlich. Was für Außenstehende wie ein Albtraum wirkt, ist für viele Jugendliche Alltag.

In Österreich leiden rund 7.500 Jugendliche an Magersucht, berichtet die MedUni Wien. Die meisten Betroffenen sind Mädchen, doch auch die Zahl der Jungen steigt. Häufig treten Mischformen verschiedener Essstörungen auf, begleitet von anderen psychischen Erkrankungen. Um diese Welt besser zu verstehen, sprach ich mit drei Betroffenen.

Stimmen aus der Community

Maddie, 17, ist seit zweieinhalb Jahren Teil der Pro-Ana-Community auf Tumblr. „Ich öffne Tumblr morgens so, wie meine Mutter die Nachrichten liest,“ erzählt sie. Ihre Essstörung begann jedoch viel früher. „Mit sieben habe ich erstmals über mein Gewicht nachgedacht. Mit zehn machte ich meine erste Diät – erfolglos. Ana wurde zu meiner besten Freundin. Sie ist alles, was ich brauche.“ Maddie blockiert Nutzer, die gesund werden wollen, sieht sich aber nicht in der Verantwortung für andere. „Das ist mein ‚Safe Space‘,“ sagt sie.

Bea, 19, sieht das anders. Sie verteidigt ihre Beiträge, die anderen das Hungern erleichtern: „Jeder sollte dünn sein. Leute, die mich kritisieren, sind nur neidisch. Ich habe Disziplin.“ Solche Aussagen illustrieren die toxische Dynamik innerhalb dieser Community. Für Cataleya, 18, steht jedoch nicht das Gewicht, sondern Kontrolle im Vordergrund. „Meine Eltern machen Druck, ich müsse essen, aber ich brauche die Kontrolle. Ohne sie bin ich verloren.“ Sie wurde mehrfach stationär behandelt, ohne Erfolg. „Ich glaube, ich werde bald sterben,“ sagt sie nüchtern.

Der Kaninchenbau auf Tumblr

Tumblr bietet Anonymität und scheinbar unendliche Möglichkeiten, sich mit Gleichgesinnten auszutauschen. Die Inhalte reichen von motivierenden Beiträgen und „Thinspo“-Bildern (thin inspiration) bis zu verstörenden „Bodychecks“, bei denen Minderjährige ihren Körper in Unterwäsche präsentieren. Die Community verherrlicht nicht nur Anorexia („Ana“), sondern auch Bulimia („Mia“). Ana wird als strenge, fordernde Freundin beschrieben, während Mia jene ist, die „hilft“, wenn man „versagt“.

Trotz Sicherheitsmechanismen sind solche Inhalte allgegenwärtig. Hashtags wie „4nor3xia“ und „th!n$p0“ haben Tausende Follower. Um Sperren zu umgehen, nutzen Nutzer verschlüsselte Begriffe. Die Moderatoren von Tumblr scheinen keinen großen Druck zu spüren, diese Inhalte konsequent zu entfernen – auch, weil die Problematik weitgehend unbemerkt bleibt.

Hilfe und Auswege

Essstörungen wie Anorexia nervosa oder Bulimia nervosa sind schwerwiegende psychische Erkrankungen, die professionelle Hilfe erfordern. Betroffene fühlen sich oft isoliert und finden in Communities wie Pro Ana vermeintlichen Halt. Ohne Unterstützung bleiben viele in dieser gefährlichen Spirale gefangen. Angehörige und Freunde sollten bei Anzeichen nicht zögern, Hilfe anzubieten.

Beratungsstellen:

Essstörungen sind behandelbar, doch der Weg zur Heilung erfordert Geduld, Verständnis und professionelle Unterstützung.

 

 

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1 Kommentar
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