Es war Frédéric Chopin, der im Jahre 1830 nach Wien reiste und sich dort augenblicklich inspiriert fühlte. So äußert er sich in einem Brief an seine Familie schockiert über den „verdorbenen Geschmack“ des Wiener Publikums, das sich für die modernen Lanner- und Strauß-Walzer begeistert. Sein Schock diente Chopin wohl auch als Anhaltspunkt für die Entwicklung des sogenannten Valse Stylisée (Kunstwalzers), der mehr durch kunstvolle Musik als durch Tanz erfreut.
Doch der Walzer bezog sich nicht immer auf schnelles Drehen im Dreivierteltakt. Tatsächlich stand das Wort „waltzen“ bis Anfang des 18. Jahrhunderts für den Ausdruck „auf der Waltz sein“, was soviel wie „wandern“ bedeutet. Die Verbindung zum Tanzen kam aus dem Französischen „valser“ für „sich drehen“. Die erste deutsche Übersetzung des „Walzens“ im tänzerischen Kontext lieferte ein Tanzverbot aus dem 18. Jahrhundert. Gewalzt wurde damals aber nicht der Wiener Walzer, sondern der Ländler; ein Gesellschaftstanz mit Dreivierteltakt, der sich parallel zum Wiener Walzer entwickelte. Zu den Vorgängern des Wiener Walzers zählen Dreher, Weller und Spinner.
Der erste Eintrag mit dem Wort „Walzen“ hätte Chopin sicherlich glücklich gemacht. Denn es handelt sich um ein Verbot aus dem Jahre 1748, das zur sofortigen „Abstellung…der…ärgerlichen Tanzarthen, oder sogenannten Walzens“ aufruft. Verwunderlich war dies kaum, denn die Wiener Behörden hatten zuvor bereits weniger „anstößige“ Veranstaltungen verboten. So war zu Fasching jegliches öffentliche Spektakel auf den Straßen Wiens untersagt. Hof und Adel zogen sich deshalb in die Wiener Hofburg zurück.
In den Augen der Wiener Behörden war das Walzer-Verbot auch gesundheitlich bestens begründet: So warnten damalige Ärzte, dass man im Wiener Walzer Krankheiten und sogar dem Tode zu Opfer fallen könne. Auch der zeitgenössische Autor Johann Gerning berichtet von seiner Reise durch Oestreich und Italien: „unter 10 bis 11.000 Menschen, die hier sterben, ist gewöhnlich der 4. Theil mit Brustkrankheiten zu Grabe gegangen, woran auch das unmäßige Walzen die Schuld trägt.“ Dem Wiener Walzer zum Opfer fallen – das taten vor allem junge Damen. Grund dafür waren aber nicht Krankheiten und Tod, sondern Sauerstoffmangel. Denn für eine schlanke Figur trugen die Damen oftmals Korsette, die nicht nur ihre Figur, sondern auch ihre Luftzufuhr einengten.
Trotz Verboten und sozialer Anstößigkeit setzte sich der Wiener Walzer langsam durch: Kaiser Joseph II (1765 bis 1790) war es, der den Maskenball, der sonst nur den Adeligen vorbehalten war, der breiten Öffentlichkeit zugänglich machte. Die Tanzsäle wurden zur Flucht aus dem Alltag, das Tanzen zum Symbol der Freiheit. Außerhalb der Stadt warben nun auch Gasthäuser mit einem Tanzprogramm.
Ob Bauer oder Edelmann: Auf dem Parkett war jeder gleich. Der Wiener Walzer wurde damit zum Zeichen der bürgerlichen Gleichheit (égalité), und damit zum Zeichen einer gesellschaftlichen Revolution wie sie zuvor nur in Frankreich vorhanden gewesen war. Der große Durchbruch des Wiener Walzers ist auf den Kongress zurückzuführen, der von 1814 auf 1815 in Wien tagte.
Seit 1963 können Walzertänzerinnen und -tänzer auch an Wettbewerben teilnehmen. Getanzt wird dabei der Rechts- oder Linkswalzer. Bei letzterem dreht man nicht nur 60 Takte pro Minute, sondern kreuzt zusätzlich die Füße, was den Walzer eleganter macht. Speziell dem Linkswalzer hat sich die Wiener Walzerformation gewidmet, die das Publikum bei Balleröffnungen immer wieder durch eigene Walzerchoreographien erfreut. So begeisterte sie unter anderem beim diesjährigen Philharmonikerball durch Johann Strauss‘ „Frühlingsstimmenwalzer“.
Der Wiener Walzer gilt weltweit als eines der „Kultur-Wahrzeichen“ Wiens und wirkt dabei als Touristenmagnet: Allein letztes Jahr kamen rund 30 000 Menschen aus dem Ausland nach Wien, um die einzigartige Atmosphäre der Wiener Ballsaison zu erleben. Ganz so verdorben kann der Geschmack des Wiener Publikums also gar nicht sein. Das zeigt auch die UNESCO, die den Wiener Walzer seit 2017 zum immateriellen Weltkulturerbe erklärt hat.
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