
Die Letzte Generation verabschiedete sich Anfang August des vergangenen Jahres mit einem Knall. Rund siebzig Protestierende blockierten samt Schildern und buntem Konfetti den Zugang zu den Check-In-Schaltern im fünften Stock des Wiener Flughafens.
Wenige Tage später und scheinbar aus dem Nichts, stand auf ihrer Homepage: das Ende der Proteste. Es folgte ein offener Brief auf ihrer Webseite. „Wir haben auf vielfältigste Weise protestiert (…). Wir haben es versucht. Wir haben weitergemacht – trotz Gewalt, Morddrohungen, Festnahmen, Haft, Hass oder Strafen in Höhe von zehntausenden Euro. Wir sehen keine Perspektive für Erfolg mehr.(…) Dieses Projekt endet. Der Widerstand bleibt.“ Was ist aus den Klimaklebern seither geworden? Ihre Proteste mögen ein Ende gefunden haben, ihre Probleme sind geblieben.
Die campus a-Redaktion erreichte Marina „Mina” Hagen-Canaval am Telefon. Canaval gehörte zwei Jahre lang zum Kernteam der Bewegung und koordinierte Medienanfragen, begleitete rechtliche Verfahren und unterstützte Aktivisten bei Strafverfahren. Seit der Auflösung der Letzten Generation im August 2024 engagiert sie sich in Vorarlberg für kommunalpolitische Themen. Sie steht auf der Liste der Grünen in der Marktgemeinde Götzis, wo sie wohnt, um „die Perspektive einer jungen Frau” in die Politik einzubringen und „etwas Konkretes jetzt zu bewegen”.
Radikale Veränderungen wünscht sie sich immer noch. „Die kommunistische Weltrevolution wird nicht in den nächsten drei Monaten passieren. Ich finde es wichtig, dass wir jetzt auch Marginalverbesserungen für Personen in unserer Gesellschaft erstreiten oder zumindest verhindern, dass es noch schlimmer wird,” erklärt Canaval. Eine politische Kariere strebt sie jedoch auf Dauer nicht an, und, wie sie sagt, „schon gar nicht bei den Grünen.”
Einige ehemalige Mitglieder sind zu anderen Organisationen wie zu der ebenfalls betont kämpferischen Klimabewegung Extinction Rebellion gewechselt. Das Kernteam der Letzten Generation kümmert sich im Rahmen ihrer Strafverfahren und finanziellen Herausforderungen nur noch um Vergangenheitsbewältigung und ist laut Canaval ausgebrannt. Nach wie vor kommt es zu Verhaftungen, wenn Geldstrafen von Verwaltungsverfahren micht bezahlt werden konnten.
Der Flughafen Wien hat seine Ankündigung wahr gemacht, wegen der Protestaktion im vergangenen Sommer vor Gericht zu ziehen. Die eingeklagte Summe: mehr als 36.000 Euro, die für junge Menschen kaum zu stemmen sind. Auch deshalb, weil sie im Zuge ihres Engagements bereits 100.000 Euro an Strafzahlungen an Behörden bezahlt haben. „Das haben die meisten von uns aus ihrer eigenen Tasche bezahlt,” so Canaval.
Aus dem Vollen schöpfen kann die durch Spenden finanzierte Initiative allerdings nicht mehr. „Wir haben noch ein bisschen Geld auf der Seite. Ob das reichen wird, weiß man nicht so genau.” Zu den Zahlungen, die der Gruppe drohen, kommen noch jeweils Verwaltungsstrafen von Einzelpersonen für ihre Proteste. Bei einigen Mitgliedern sind das einige Zehntausend Euro. Nach diversen Verfahrenseinstellungen sind fünfzig Strafverfahren gegen Einzelpersonen geblieben. “Obwohl es ganz klar ist, dass wir keine kriminelle Vereinigung sind,” sagt Canaval.
Immerhin fallen die Anwaltskosten moderat aus. Hier helfen meistens Juristen aus dem Menschenrechtsbereich, die die Gruppe um unentgeltliche Unterstützung gebeten hat oder die sich bei den Aktivisten selbst gemeldet haben.
Nicht nur die Probleme gibt es noch, sondern auch die Webseite der Gruppe ist nach wie vor online. Die aktuellste Meldung der Gruppe stammt vom 21. Februar. Es handelt sich um einen Spendenaufruf. „Der Flughafen bietet uns einen bedingten Vergleich über 15.000 Euro an. 12.000 Euro haben wir, könnt ihr uns helfen, die restlichen 3.000 Euro abzudecken?“
Wenn es die Gruppe nicht mehr gibt, wer hält die Webseite dann überhaupt am Laufen? „Das alte Kernteam erledigt, was noch ansteht”, erklärt Canaval.
Die mittlerweile 15.000 Euro, die die Letzte Generation für die Flughafenklage gesammelt hat, stammen aus einer speziellen Spendenkampagne. „Das sind Leute, die explizit für die Flughafen-Kampagne gespendet haben“, erklärt Canaval. Spenden gehen weiterhin ein, allerdings in geringerem Umfang.
Die Spenden kamen hauptsächlich von Privaten, mit Beiträgen im Bereich von zwanzig bis hundert Euro im Monat. Insgesamt sammelte die Gruppe bisher mehr als 180.000 Euro. „Davon haben wir auch Warnwesten, Banner und so weiter gekauft“, fügt sie hinzu. Ein Teil der Summe ging an Mitstreiter, die für die Letzte Generation ihre Jobs aufgegeben hatten.
Das Kernteam hält nach wie vor zusammen, aber die Angst vor der Zukunft ist groß: „ Ich hätte mich nicht auf die Straße geklebt, wenn ich geglaubt hätte, meine Zukunft wird rosig. Das ist ja der Hauptantrieb. Wenn ich so alt bin wie meine Eltern, dann erwarten mich Hungersnöte und Dürrekatastrophen.“
Nicht nur die weit vor ihr liegende Zukunft ist für die ehemaligen Klimakleber besorgniseregend: „Wir hatten bereits rund viereinhalb Tausend Verwaltungsstrafverfahren, die meisten sind abgeschlossen. Die verbliebenen Gerichtsverhandlungen finden in den kommenden Monaten statt. Die Strafen, die dabei herauskommen, sind aber drei Jahre lang vollstreckbar. Das heißt, noch drei Jahre werden Leute von uns Strafen bezahlen beziehungsweise in Polizeianhaltezentren absitzen müssen,” so Canaval. Deprimierter Nachsatz: „Es kann durchaus sein, dass in den nächsten fünf bis acht Jahren Vieles bezüglich noch offener Strafverfahren zu erledigen ist.”
Die Gruppe weiß, wie unbeliebt sie sich bei vielen Österreichern gemacht hat. „Unbeliebt zu sein gehört zum zivilen Widerstand dazu,“ sagt jedoch Canaval. Dies sei allerdings nicht der Grund gewesen, warum die Gruppe ihre Proteste beendet hat. Canaval erklärt: „Uns haben nicht die Strafen gestoppt. Wir haben gezeigt, wir können das schaffen. Wir haben nicht aufgehört, weil man uns nicht gemocht hat. Unser Problem war eine Zivilgesellschaft, die nicht versteht, in welcher Notsituation wir sind.”
Die mediale Berichterstattung hat den Frust ebenfalls gesteigert. Auch jüngst noch, als ÖVP-Kommunikations-Chef Gerald Fleischmann die Letzte Generation in die Nähe Putins rückte. „Wir waren eine unabhängige österreichische Klimabewegung mit Forderung an die österreichische Regierung.“ Mit dem von Fleischmann genannten George Barda, einst eine der Hauptfiguren der internationalen Klimabewegung und heute regelmäßig Gast beim staatlichen russischen Sender Russia Today, habe die Gruppe nichts zu tun: „Ich kannte den Namen nicht.“
Im Abschied der Letzten Generation am Ende ihrer Proteste schwang noch etwas Hoffnung mit. „Wir machen Platz, damit Neues entstehen kann,” schrieben sie damals in ihrem offenen Brief. Aber ist wirklich Neues entstanden? Immerhin, einige Klimakleber kämpfen bei anderen Gruppen weiter, andere überlegen, was sie als nächstes für das Klima tun könnten, aber sonst? „Zwei Jahre Widerstand zu leisten und jede Woche siebzig Stunden zu arbeiten, das brennt Menschen einfach aus”, sagt Canaval. „Wenn ich Aktivismus höre, erschöpft mich alleine schon das.”
Der Ausbildungsplatz dieser Autorin in der campus a Akademie für Journalismus ist ermöglicht mit freundlicher Unterstützung durch die ÖBB.
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