
Breitenbach am Inn, eine beschauliche 3.500-Seelen-Gemeinde in Tirol. Die Luft ist kalt, das Dorf wirkt ruhig, fast idyllisch. Vor einem Gasthof wartet Markus Luger (28) bereits. Sein Händedruck ist fest, sein Lächeln offen. Ohne Umschweife führt er durch den Hinterhof zu seiner Wohnung.
Mit pragmatischer Art und bodenständigem Auftreten, wie es sich für einen Tiroler gehört, skizziert er seinen Alltag. Frühmorgens, um 6.45 Uhr, beginnt sein Tag mit einem schnellen Kaffee, dann bricht er auf. Seit zwei Jahren arbeitet der gelernte Elektriker bei der Firma Sandoz in Kundl, im Bereich der Mess- und Regeltechnik sowie Automatisierung.
Seine Beziehung mit seiner Partnerin, mit der er seit zweieinhalb Jahren zusammen ist, bezeichnet er als glücklich. Kinder hat das Paar noch keine. Ein finanzieller Vorteil: double income, no kids. “Mehr könnte es immer sein. Wenn mein Chef mich fragen würde, dann verdiene ich natürlich zu wenig”, scherzt Luger. Er denkt jetzt, mit Ende zwanzig, über die nächsten großen Schritte nach, wie eine Wohnung und ein Auto zu kaufen, eine Familie zu gründen. Dreimal pro Woche Sport zu treiben gehört auch zu seinen Zielen, meistens schafft er es aber nur einmal.
Verfasse auch du einen Beitrag auf campus a.
Denn neben dem Job bleibt wenig Zeit für Hobbys, nur eines begleitet ihn seit seiner Kindheit: die Politik. Bereits in der Volksschulzeit interessierte sie ihn. Damals empfing der Fernseher seiner Familie nur drei Sender. ORF1 zeigte Skifahren, ATV Mediashopping und ORF2 übertrug die Nationalratssitzungen. Skifahren und Mediashopping interessierten ihn nicht, deswegen verfolgte er mit wachsendem Interesse die politischen Diskussionen.
Ein prägendes Ereignis veranlasste Luger, sich politisch zu engagieren. Es war die Scheidung seiner Eltern, die ihn nicht nur emotional belastete, sondern ihm auch Ungerechtigkeiten im System zeigten. Unversehens stand seine Mutter unter wirtschaftlichen Druck und musste sich um eine Altersvorsorge bemühen. Trotzdem ist sie seit ihrer Pensionierung im vergangenen Jahr mit existenziellen Herausforderungen konfrontiert. „Andere kommen her und bekommen gleich die Mindestsicherung, das ist einfach nicht fair“, sagt Luger.
2013 dann die Elefantenrunde zur Nationalratswahl. Besonders der Schlagabtausch zwischen Heinz-Christian Strache und dem damaligen SPÖ-Kanzler Werner Faymann fesselte ihn. Strache adressierte exakt jene Missstände, die Luger seit Langem beschäftigten. So sollen Politiker sein, dachte er. Sie sollen meine Sprache sprechen und sagen, was auch mir durch den Kopf geht. Wenig später trat er mit gerade einmal 16 Jahren der FPÖ bei.
Mit 19 gründete er die Freiheitliche Partei Breitenbach, um aktiv an politischen Entscheidungen mitwirken zu können. Seit zehn Jahren ist er Ortsparteiobmann, 2016 zog er in den Gemeinderat ein. „Damals war ich noch blauäugig”, erinnert er sich. “Aber manchmal ist es besser, man weiß vorher nicht, wie alles wird, sonst würde man es wahrscheinlich bleiben lassen.“
Rund zwanzig Stunden in der Woche investiert er in die Politik, für 700 Euro Einkommen im Jahr. Am meisten Freude macht es ihm, den Dorfbewohnern bei ihren Anliegen zu helfen und zur Entwicklung der Gemeinde beizutragen.
Seine Aufgaben als Ortsparteiobmann reichen von der organisatorischen Leitung der Partei bis zur Teilnahme an den Gemeindevorstandssitzungen, die immer um 19.30 Uhr beginnen und oft bis 22 Uhr dauern. Als besonders herausfordernd empfindet er den mit politischen Entscheidungen verbundenen bürokratischen Aufwand. Selbst scheinbar einfache Maßnahmen wie etwa das Versetzen eines Verkehrsschildes erfordern langwierige Genehmigungsprozesse.
Die anderen nahmen ihn anfangs nicht ernst. „Als Lehrling musste ich mich erst behaupten. In jeder Firma ist der Anfang so, in der Politik auch.“ Der Bürgermeister, der das Amt seit zwanzig Jahren innehatte, war einer von denen, die wegen seiner Jugend an ihm zweifelten. Erst mit wachsender Erfahrung etablierte sich Luger in der Breitenbacher Gemeindepolitik.
Auf seinem Smartphone liest er vorwiegend Finanznewsletter, während er sich auf Facebook meist in einer Bubble aus Kollegen im Job bewegt. Bei politischen Informationen ist er dem Fernsehen treu geblieben. Meist startet er mit den Nachrichten auf RTL, wechselt dann zu ServusTV und schließlich zur ZIB2, um verschiedene Perspektiven zu vergleichen. Seine Freundin kommentiert das oft mit einem scherzhaften „Jetzt haben wir dreimal die Nachrichten geschaut, können wir umschalten?“
Seine Beziehung zum ORF ist gespalten. Wieso durfte ausgerechnet eine Redakteurin des linken Falter das Platzen der türkisblauen Regierungsverhandlungen kommentieren? Das versteht er nicht. Schließlich sei damit klar gewesen, wer als Schuldiger hervorgehen würde. Der ORF liefere also programmierte Antworten. “Du musst nur wissen, wen du fragst”, sagt er. Seriös findet er das nicht.
Pauschalkritik am Staatssender wie bei Kickl ist das aber keine. Er sieht jeden Tag ORF und findet dessen journalistische Arbeit grundsätzlich kompetent und positiv. ZIB 2-Anchor Armin Wolf zum Beispiel hält er für einen guten Journalisten. “Wolf fragt nicht nur die FPÖ-Politiker kritisch, sondern die aller Parteien.” So hat er sich auch mit der ORF-Gebühr abgefunden. “Wer zahlt schon gerne etwas”. meint er nur mit einem Lächeln.
Und Kickls ORF-Politik? “Es ist wichtig, dass sich Politiker kritischen Fragen stellen”, sagt Luger. “Aber jeder muss selbst entscheiden können, wo er in Erscheinung tritt. Ich poste nichts auf der Breitenbacher FPÖ-Facebook-Seite, Kickl gibt dem ORF keine Interviews.“
Ein bisschen Medienschelte liefert Luger dann doch noch. Er erzählt die Geschichte von den FPÖ-Wählern, die klassische Medien ebenso wie andere Parteien abschätzig behandeln. “Dabei wählen Menschen aus allen Bildungs- und Altersklassen die FPÖ. Das zeigen Umfragen.“ Blaue Akademiker würden immer gleich als Burschenschaftler und Nazis diffamiert.
2016 unterzeichnete die FPÖ ein Zusammenarbeitsabkommen mit Wladimir Putins Partei „Einiges Russland“. In der Folge fielen führende Blaue wiederholt durch prorussische Rhetorik auf. Sie übernahmen Putins Narrative, die den Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine teilweise legitimierten und die Rolle des Westens bei der Eskalation des Konflikts betonten.
Wie sieht das ein Mann wie Luger, der mit beiden Beinen im Leben steht, sich für Verbesserungen in der Betreuung von Kleinkindern einsetzen und die örtliche Mittelschule sanieren will? Angesichts von 12.000 getöteten Zivilisten, darunter 700 Kindern?
“Laut internen Quellen ist der sogenannte Freundschaftsvertrag, den noch Heinz-Christian Strache mit Russland abgeschlossen hat, mittlerweile ausgelaufen”, sagt er. Falls es Verbindungen zwischen Putin und der FPÖ gäbe, seien sie rein zufällig. „Letztlich sieht jeder das, was er sehen will.“
Luger verurteilt Putins Angriffskrieg und betont die Absurdität eines Krieges in Europa. Er sei eine Realität, mit der er im 21. Jahrhundert nicht mehr gerechnet hätte.
Gleichzeitig zeigt er Unverständnis für die allgemeine Kritik, auch die der Grünen, an der Ablehnung der FPÖ von Waffenlieferungen an die Ukraine und ihrer Forderung nach Friedensverhandlungen. Politische Beobachter werten das als prorussisch, weil eine Einstellung von Waffenlieferungen zu Friedensverhandlungen zu Putins Bedingungen führen würden.
Persönlich nehme er keine Parallelen zwischen Putin und der FPÖ wahr, sagt Luger, wenn andere sie unbedingt erkennen wollen, sei das deren Interpretation. Die FPÖ halte an der Neutralität fest und stehe auch nicht Donald Trump nahe. Tatsächlich bekundete Kickl wiederholt Sympathie für Donald Trump, lobte dessen Politik, übernahm rhetorische Elemente seiner „America First“-Politik und war Gast bei Veranstaltungen trumpnaher Netzwerke.
Auch Luger gesteht Trump schließlich zu, die geopolitische Dynamik zutreffend erfasst zu haben. “Der Krieg wird erst enden, wenn Russland als dominierende Macht hervorgeht. Es sei zielführender, schon jetzt eine diplomatische Lösung zu finden, statt die Realität erst nach dem vollständigen Kollaps der Ukraine und dem sinnlosen Aufopfern ganzer Generationen anzuerkennen. Einen Sieg der Ukraine hält er für ausgeschlossen, unabhängig vom Umfang von Waffenlieferungen.
Und wo bleibt bei all dem Österreich? Während der klar proeuropäische Kurs der ÖVP einer der Gründe für das Scheitern der blau-türkisen Regierungsverhandlungen war, hofft Luger auf Brüssel. Österreich, glaubt er, kann sich im Wettbewerb mit Großmächten wie Amerika und China nur über die EU durchsetzen. Bloß gehöre die EU demokratisiert und vereinfacht. “Es kann nicht sein, dass dort alles so kompliziert ist.” Die EU sollte seiner Meinung nach funktionieren wie ein Gemeinderat, in dem gewählte Politiker auch tatsächlich etwas bewirken können. Schaffen will er das mit mehr direkter Demokratie, wie sie im FPÖ-Parteiprogramm steht.
An seine Partei bindet ihn vor allem deren Migrations- und Sicherheitspolitik. “Ich fühle mich noch sicher, wenn ich in die Stadt fahre, aber wenn ich zwanzig Zentimeter kleiner wäre, wäre das vielleicht anders“, sagt er.
Im Jahr 2024 hatte rund ein Drittel der österreichischen Bevölkerung Migrationshintergrund. In Tirol lag dieser Anteil mit etwa 20 Prozent deutlich niedriger.
Als Blauer muss er in seinem Alltag gelegentlich herabwürdigende Aussagen hinnehmen, doch die bringen ihn nicht mehr aus der Ruhe. Er hat gelernt, Politik nicht mehr persönlich zu nehmen und wenn möglich mit Humor zu reagieren. Nach dem Ibiza-Skandal fiel es ihm allerdings selbst schwer, sich zur FPÖ zu bekennen. Die Blauen sind alle falsch und korrupt: Das war damals die allgemeine Einschätzung, die allerdings nicht bis in den Gemeinderat vordrang. Dort kennen ihn alle und wissen, wie sie in einzuordnen haben. “Da muss ich mich nicht verstecken”, sagt er. Es kämen ja auch immer wieder schöne Zeiten, fügt er hinzu. Die aktuell hohen Umfragewerte der FPÖ erleichtern es ihm, sich offen zur Partei zu bekennen.
Künftig will er den Zeitaufwand für sein Hobby Politik trotzdem überdenken. Die verpflichtende Teilnahme an den abendlichen Gemeinderatssitzungen lassen ihm wenig Zeit zur Erholung. Mit Kindern wäre das besonders schwierig. Manchmal denkt er darüber nach, sein Hobby zum Beruf zu machen. Das traut er sich zu. Politik dürfe selbst bei Kanzlern oder Ministern nicht von formaler Bildung abhängen, sondern müsse offen für jeden sein, findet er. Wichtiger sei das Gespür für die Wähler.
Allerdings bezweifelt er die Sicherheit eines Jobs in der Politik. Den letzten großen Moment der Genugtuung erlebte er, als Bundespräsident Alexander Van der Bellen Herbert Kickl doch noch mit den Regierungsverhandlungen betraute. Jetzt wird alles gut, dachte er, ehe wieder alles ganz anders war.
Lugers Meinung nach mag der Wechsel von der Privatwirtschaft in die Politik einfach sein, aber der Rückweg ist fast unmöglich. „Außer du bist Minister und rückst es dir zurecht“, sagt er.
Der neuen österreichischen Regierung traut er keine fünf Jahre Bestand zu. „Wer das moderiert, muss wirklich gut sein“, meint er amüsiert. Bisher mache sie schlechte Politik. „Sie redet vom Sparen und stellt gleichzeitig das größte und teuerste Kabinett aller Zeiten zusammen. Das hätte es mit uns Blauen nicht gegeben“, kritisiert er. Die Politik solle sich mit den Problemen der Zukunft beschäftigen und die FPÖ hätte das mit weniger Personen effizienter geschafft. Weshalb er ziemlich sicher ist: “Kickl wird noch Kanzler.”
Verfasse auch du einen Beitrag auf campus a.