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Das Chlorhuhn: Porträt eines umstrittenen Geflügels

Das Chlorhuhn steht wieder einmal politisch zur Diskussion. Wie gruselig ist es wirklich? Kommt es jetzt auch nach Europa und wenn ja, was wäre dann?
Kiki Camilla Manig  •  15. April 2025 Redakteurin    Sterne  42
Als Symbol für die dunklen Seiten der Globalisierung polarisiert das Chlorhuhn seit den Verhandlungen über das Transatlantischen Freihandelsabkommens (TTIP) im Jahr 2013. (Foto: APA Picturedesk)
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Niemand hat das Tier je gefragt, ob es ein politisches Symbol sein möchte, dennoch hat es das Chlorhuhn zum wohl umstrittensten Geflügel Europas gebracht. Zwischen Freihandelsverträgen, Verbraucherängsten und hitzigen Debatten ist es mehr als nur ein Stück in Desinfektionslösung getauchtes Stück Fleisch. Wie wurde es zu dem, was es ist und was ist es eigentlich genau?

Huhn à la Amerika

Die Lebensmittelchemie hat in den 1970er- und 1980er-Jahren ein Verfahren entwickelt, mit dem sie zunächst gegen Salmonellen und Campylobacter-Bakterien, die starke Magenbeschwerden auslösen können, vorgehen wollte. Ab den 1990er-Jahren entwickelte es sich in den USA zur gängigen Praxis bei der Desinfektion von Hühnerfleisch. Ein gerupftes und ausgenommenes Masthuhn landet dabei in einem eiskalten Chlordioxid-Bad. Das Verhältnis von Chlor und Wasser ist nicht mit dem eines Schwimmbades zu vergleichen. Der Chloranteil ist deutlich niedriger. Zudem folgt ein Bad in reinem Wasser. Das Verfahren ist also weniger gruselig, als es zunächst klingt, doch in diesem Punkt prallen mit der amerikanischen und der europäischen Ernährungskultur zwei unterschiedliche Welten aufeinander.

Flattert das Chlorhuhn nach Europa?

In Europa zählt Hygiene vom Stall bis zur Theke. Dies ist seit 2006 in der Lebensmittel-Hygieneverordnung besiegelt. In den USA hingegen zählt der finale Effekt. Wenn das Fleisch am Ende sauber ist, passt alles. 

Wer Fleisch mit Chlor desinfizieren muss, will offenbar ein Problem in der Produktionskette davor verschleiern, denken nun die Europäer. Sie befürchten, die Amerikaner würden hygienische Mängel im Haltungs- und Schlachtprozess durch das Bad am Ende wegwaschen. Das ebenso effiziente wie billige Verfahren ist in der EU verboten.

Als sich während der Verhandlungen über das Transatlantischen Freihandelsabkommens (TTIP) 2013 zeigte, dass damit auch europäische Verbraucher das Chlorhuhn auf den Teller bekommen könnten, wurde es zum Symbol für alles, was falsch läuft in der globalisierten Lebensmittelproduktion, für Massentierhaltung, Gentechnik und Gewinnmaximierung auf Kosten der Qualität der Lebensmittel. 

Ein genauerer Blick auf das Problem zeigt: In Europa ist das Chlorhuhn gar nicht wegen potenzieller Gefahren für die Gesundheit der Konsumenten verboten. Die Desinfektionsmethode passt einfach nicht zum europäischen Konzept der präventiven Hygiene. 

Kein Gesundheitsrisiko

Reinigung ist gerade bei Hühnerfleisch besonders wichtig. Es gilt als Brutstätte für Bakterien, weshalb auch Hobbyköche Geschirr und Messer nach der Verarbeitung gründlich reinigen sollten. Doch bei der Diskussion um das Chlorhuhn geht es gar nicht um Gesundheitsrisiken, sondern um unterschiedliche Hygienestrategien. 

Käme es in Europa zu einer Änderung dieser Grundhaltung, etwa durch politischen, wirtschaftlichen oder regulatorischen Druck, könnte das Chlorhuhn auch hier in den Gefriertruhen der Supermärkte landen. Woraus der EU ein juristisches Problem erwachsen könnte. Kann sie nicht wissenschaftlich begründen, warum chlorbehandeltes Fleisch gefährlich ist, es also lediglich aus Prinzip ablehnt, könnten die USA Handelsklage einreichen und die EU zur Öffnung ihres Marktes für das Chlorhuhn zwingen. Gut möglich, dass Europa und die USA in der Sache noch ein Hühnchen zu rupfen haben werden.


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