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Fünf Gründe, aus denen Lügen erlaubt sind

Vom achten Gebot „Du sollst nicht lügen“ gibt es Ausnahmen. Zumindest gemäß den alten hebräischen Schriften. Der Theologe und Bestsellerautor Johannes Huber hat nachgelesen. Wann dürfen wir die Unwahrheit sagen?
Bernhard Salomon  •  16. April 2025 CvD    Sterne  272
Der Theologe Johannes Huber hat in den alten Schriften nachgelesen und sagt: „Geistige Gesundheit erfordert die Wahrheit, doch in Ausnahmen sind kleine Lügen erlaubt.“ (Foto: Lukas Beck)
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Sind kleine Lügen erlaubt, um größere Ziele zu erreichen? Manchmal helfen sie, Probleme für alle Beteiligten zu vermeiden. Moralisch fragwürdig bleiben sie trotzdem. Oder nicht?

Auskunft über diese Frage gibt der Wiener Theologe Johannes Huber, der dazu in alten hebräischen Texten nachgelesen hat. Sowohl in der Tora, dem ersten Teil der hebräischen Bibel, als auch im Talmud, einem der bedeutendsten Werke des Judentums, sagen Protagonisten an manchen Stellen nicht die ganze Wahrheit und verhalten sich trotzdem gottgefällig.

Huber schreibt darüber in seinem neuen Buch Hirnfit bis 100, in dem es um die Erhaltung der psychischen Gesundheit geht. Die Wahrheit zu sagen sei aus neurologischer Sicht gut für das Gehirn, so Huber, doch es sei nicht ausnahmslos in allen Fällen nötig. Hier ein Auszug aus seinem Buch, der zeigt, was erlaubt ist.

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Was in den alten Schriften über das Lügen steht

 „Über allem steht zwar der Auftrag, die Wahrheit zu sagen“, schreibt Huber. „So vergleicht zum Beispiel Rabbi Eliazar, ein bedeutender jüdischer Gelehrter des ersten Jahrhunderts, im Talmud jemanden, der auch nur ein Wort absichtlich verfälscht, mit einem Götzendiener. An einer anderen Stelle sagt Rabbi Jermija Ben Abba, der im dritten Jahrhundert in Babylonien lebte, dass vier Arten von Menschen von der Göttlichkeit nicht empfangen werden: die Spötter, die Schmeichler, die Lügner und die Verleumder. In den Schriften des ebenfalls bedeutenden Gelehrten Rabbi Schimon Ben Gamliel steht, die Welt beruhe auf drei Dingen: auf der Wahrheit, auf dem Recht und auf dem Frieden. Jedoch nennen die Weisen fünf Ausnahmen, in denen wir nicht zur ganzen Wahrheit verpflichtet sind.

Der Haussegen geht vor

Lügen ist um des Friedens willen erlaubt oder um die Gefühle anderer Menschen zu schonen. Ein klassisches Beispiel dafür ist die Lehre aus der Schule des Rabbi Jischmaels. Der häusliche Frieden sei so wichtig, dass selbst der Allmächtige bereit war, nicht die ganze Wahrheit zu sagen, um den Frieden zwischen Mann und Frau zu wahren, heißt es dort. Gemeint ist eine Stelle im 1. Buch Mose 13. Dort steht, dass Sara, als sie die Prophezeiung hörte, sie werde einen Sohn bekommen, einwandte, sie tauge nicht mehr zum Kinderkriegen und auch ihr Mann Awraham sei schon alt. Daraufhin erschien Gott Awraham und zürnte darüber, dass Sara an seinen, Gottes, Fähigkeiten gezweifelt hatte. Dass sie auch an Awrahams Zeugungsfähigkeit gezweifelt hatte, verschwieg Gott ihm, um ihn nicht zornig auf Sara zu machen.

Schutz von Leib und Leben

Lügen ist auch in einer Situation erlaubt, in der die Wahrheit physische Gefahr bringen kann. Das lernen wir ebenfalls von unserem Vorvater Awraham, aber auch von seinem Sohn Jizchak. Beide haben ihre Ehefrauen im 1. Buch Mose 12 und im 1. Buch Mose 26 als ihre Schwestern ausgegeben. Da ihre Frauen sich durch außerordentliche Schönheit auszeichneten, hatten sie Angst, dass die Könige an ihnen Gefallen finden und sie, ihre Männer, töten würden.

Eine Frage des guten Stils

Lügen kann auch der Bescheidenheit wegen erlaubt sein, um nicht arrogant zu erscheinen. Wer ein Traktat auswendig könne, heißt es sinngemäß im Talmud, dürfe trotzdem aus Bescheidenheit behaupten, er habe es nie gelernt zu haben.

Intimität beschützen

Wir müssen nicht die Wahrheit sagen, wenn es um private, vertraute oder intime Angelegenheiten geht. Auch da sind sich die alten Weisen einig. Niemand ist verpflichtet, intime Geheimnisse preiszugeben.

Lügen für das eigene Hab und Gut

Lügen ist erlaubt, um Eigentum vor Räubern zu schützen. Laut Talmud dürfen wir als Reisende Bösewichtern ein anderes Reiseziel nennen, als wir in Wirklichkeit ansteuern. Das tat auch unser Urvater Jakow. Er behauptete, nach Seirgehen zu wollen, ging aber tatsächlich nach Sukkot. Der Talmud erzählt auch eine Geschichte von den Schülern des Rabbi Akiwa, die denselben Trick anwandten, um nicht unterwegs beraubt zu werden.“

Lügen schaden dem Gehirn

 „Die meisten Menschen lügen manchmal, bewusst oder unbewusst“, schreibt Huber weiter. „Es erleichtert das Leben und hilft, Konflikte zu vermeiden. Doch was, wenn Unehrlichkeit zur Gewohnheit wird? Forscher untersuchen derzeit die neurologischen Vorteile von Ehrlichkeit.

Wenn wir lügen, muss unser Gehirn widersprüchliche Informationen speichern und Erzählungen an neue Situationen anpassen. Das verursacht psychoogischen Stress, zumal, wenn wir im persönlichen Gespräch lügen. Am Telefon fällt es den meisten Menschen erwiesenermaßen leichter. Dieser psychologische Stress stellt eine Verbindung zwischen Lügen und etwa neurodegenerativen Prozessen her. Stress bewirkt Ausschüttungen des Hormons Cortisol, das sich negativ auf unser Gedächtnis und unser Orientierungsvermögen auswirkt. Die Weltgeschichte und die Weltliteratur ist voller Charaktere, die sich in Lügengebäuden verstrickt haben und in geistiger Umnachtung gestorben sind.

Doch beharrlich, ja stur immer nur die Wahrheit zu sagen, bringt Komplikationen. Herausgefunden hat das der Autor Jürgen Schmieder für sein 2010 erschienenes Buch Du sollst nicht lügen – Von einem, der auszog, ehrlich zu sein. Darin beschreibt er seinen vierzigtägigen Selbstversuch, nichts als die Wahrheit zu sagen.

Was für ihn teils unerwartete Konsequenzen hatte. So führte Schmieders Ehrlichkeit zum Beispiel zu Spannungen in seinem sozialen Umfeld. Er berichtet von Nächten auf der Couch und sogar vom Verlust eines Freundes aufgrund seiner schonungslosen Offenheit. Auch beruflich handelte er sich Schwierigkeiten ein. Schmieder geriet laufend in Situationen, die sowohl für ihn als auch für seine Kollegen herausfordernd waren. Er erwähnte sogar blaue Flecken, die er so davontrug.

Trotz solcher negativen Konsequenzen hielt er im Fazit seines Buches fest, wie befreiend absolute Ehrlichkeit sein kann. Eine Befreiung, die wir uns und unserem Gehirn regelmäßig gönnen sollten.“

Prof. DDr. Hohannes Hubers neues Buch Hirnfit bis 100 ist zum Beispiel hier erhältlich. 

Compliance-Hinweis: Es besteht ein Naheverhältnis zwischen campus a und Johannes Hubers Buchverlag edition a.


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