
Vergangenes Wochenende war die Dreizimmerwohnung der Oma wieder lebendig. Die Couch im Wohnzimmer war ausgezogen, darauf verteilt lagen geblümte Kissen und Decken. In der Ecke stand der kleine Reisekoffer ihrer Tochter und deren Mannes. Im kleineren Schlafzimmer schlief das Enkelkind, schon erwachsen, auf Bettwäsche mit Mickey-Mouse-Muster. Andere hatte sie nicht mehr, denn die ganze Familie war zu Ostern da. Die Küche brummte, Teller klapperten, Lachen mischte sich unter das allgegenwärtige Stimmengewirr. Doch am Dienstag war alles vorbei. Die Gäste weg, die Betten abgezogen, die Couch wieder eingefahren. Nur die Oma war noch da.
Sie ist ein verschwiegenes Thema, die Einsamkeit von Großeltern nach Festtagen. Wie fühlt sie sich an und wie geht es ihnen damit?
Vlad ist 19 Jahre alt und wohnt in Bukarest. Zu Ostern besuchte er mit seiner Freundin und seinem Bruder seine Großmutter Lucreția in einem kleinen Städtchen, fünf Stunden von der Hauptstadt entfernt. Er hat bemerkt, dass es ihr nach den Feiertagen immer besonders schlecht geht und versucht, über das heikle Thema Einsamkeit mit ihr zu sprechen.
82 Jahre alt ist die Frau. Seit sein Großvater vor sieben Jahren starb, lebt sie allein. „Wir besuchen sie meist zu zweit, mein Bruder Ștefan und ich. Oma bemüht sich immer, die traditionellen Gerichte zuzubereiten, obwohl es ihr nun schwerfällt. In unserer Familie drückt man Liebe durch Essen aus“, erzählt Vlad. Dennoch, sie lebt auf in diesen Tagen, wenn sie sich als Teil von etwas fühlt, als Teil ihrer Familie.
Über Einsamkeit zu sprechen, fällt Oma Lucreția schwer. „Sie redet nie direkt über ihre Gefühle, schon gar nicht über die unangenehmen“, sagt ihr Enkel. „Es sind immer nur Andeutungen: ‚Ach, ich sitze nur hier rum‘, sagt sie, wenn wir sie fragen, was sie so macht. Aber wenn wir da sind, strahlt sie über das ganze Gesicht.“
Doch die Besuche sind kurz: Ankunft am Samstag, Abreise am Montag. Länger können die Enkel nicht bleiben. „Nach den Feiertagen sei es schlimmer als sonst, sagt sie immer“, berichtet Vlad. „Plötzlich ist dieses Chaos weg: das Geschirr, das Gelächter. Dann sitzt sie wieder allein in dieser Stille.“
Das stille Haus wirkt nach den Festtagen noch einsamer als sonst. Für Psychologen ist das kein Wunder: Der abrupte Übergang vom Trubel zur Leere löst bei vielen Älteren ein emotionales Tief aus. Das sogenannte Empty-Nest-Syndrom, also die Traurigkeit und Einsamkeit, wenn Kinder von Daheim ausziehen, zeigt sich bei Senioren oft auch nach Familienbesuchen.
„Oma ist dann wieder allein mit ihren Gedanken und Problemen. Sie hat nicht viele Freundinnen, hat gesundheitliche Beschwerden und kann nicht vieles allein tun. Und dann ist die Hilfe, die wir noch ab und zu leisten können, wieder weg“, bestätigt Vlad. „Ich weiß, wie sehr sie sich auf uns freut. Und wie leer es danach ist.“
Nicht allen Großeltern geht es so. Rodica ist 84 Jahre alt und lebt ebenfalls allein. „Ich fühle mich nicht einsam“, sagt sie. „Ich erlebe so etwas wie Erfüllung. Meine Kinder haben Familien, meine Enkel sind gesund und gute Menschen. Wie könnte ich unglücklich sein, wenn ich so dankbar bin?“
Nach den Festtagen zieht Rodica die Mickey-Mouse-Bettbezüge ab, räumt die geblümten Kissen und Decken weg und kehrt zurück zu ihrem Alltag: einem Alltag, der ihr besonders viel Ruhe und Freude bereitet.
Vlads Oma ist allerdings nicht die einzige, die ein bisschen zusätzliche Liebe und Aufmerksamkeit nach den Festtagen genießen würde. Der größte Wunsch der Enkelkinder der einsamen Senioren: „Dass sie wieder mit Freundinnen plaudern könnten. Dass ihnen jemand hilft, mit ihnen Kaffee trinken geht oder sie einfach zum Abendessen besucht“, sagt Vlad.
Die Moral der Geschichte? Die Großeltern öfter anrufen, auch wenn die ganze Familie gerade bei ihnen war. Oder gerade dann. Bewusst Zeit miteinander zu verbringen und die Sicherheit, dass die ganze Familie nach den Festtagen nicht untertaucht, könnten den Abschied um einiges leichter machen. Einen Tag länger bleiben oder beim Aufräumen helfen könnte dazu führen, dass die Stille danach weniger schwer wiegt.
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