
Ein Facebook-Post oder eine kontroverse Aussage beim Abendessen und schon ist die Stimmung vergiftet. Was früher eine kleine Meinungsverschiedenheit war, beendet heute Freundschaften und zerreißt Familienbande. Die politischen Fronten sind nicht nur verhärtet, sie verlaufen mitten durch das Privatleben. Die sogenannte soziale Homophilie boomt. Dank ihr finden politische Diskussionen oft gar nicht mehr statt, weil sich Gleichgesinnte in abgeschotteten Sphären bewegen.
Das mag harmonisch und verbindend sein, führt aber auf Dauer zur gedanklichen Einseitigkeit. Eine Untersuchung des Forschungsinstitutes Pew Research Center belegt, wie weit diese Dynamik in den USA fortgeschritten ist. Die Mehrheit der Amerikaner ist demnach mit Menschen befreundet, die dieselbe politische Partei unterstützen. Politisch gemischte Beziehungen sind selten. Nur etwa sechs bis sieben Prozent geben an, viele enge Freunde aus dem gegnerischen Lager zu haben. Auch in romantischen Beziehungen zeigt sich diese Tendenz: 77 Prozent der verheirateten oder zusammenlebenden Paare gehören der gleichen politischen Partei an. Die politische Orientierung stammt dabei oft aus dem Elternhaus, bei den jungen Generationen noch stärker als bei älteren.
Wenn Isolation zu Feindseligkeit führt
Wer keine engen Kontakte zu Andersdenkenden pflegt, neigt zu stärkeren negativen Stereotypen. So bezeichnen Menschen ohne Freundschaften zur anderen politischen Seite diese deutlich häufiger als „unintelligent“, „unmoralisch“ oder „engstirnig“. Ein Effekt, der bei Republikanern ausgeprägter, aber auch bei Demokraten feststellbar ist. Umgekehrt empfinden Menschen mit politisch gemischtem Freundeskreis Gespräche über Politik nicht nur als weniger stressig, sondern auch als anregend und erkenntnisreich, selbst wenn sie danach feststellen, dass sie eher gegensätzliche Positionen vertreten.
Soziale Homophilie schränkt nicht nur den Horizont ein, sie verschärft auch die gesellschaftliche Spaltung. Wer nie mit dem politischen Gegenüber spricht, kann es kaum als gleichwertig sehen, es wird zum Feindbild. Wer nur noch im Kreis Gleichgesinnter diskutiert, verliert die Fähigkeit, andere Perspektiven zu erkennen oder mit der anderen Seite mitzufühlen und deren Beweggründe zu verstehen. Je homogener das soziale Umfeld ist, desto einseitiger wird der Diskurs und das ist für die Demokratie und das Miteinander gefährlich.
Der Austausch mit Menschen, die anders denken, fordert heraus und das ist gut so. Nur wer bereit ist, andere Meinungen zu hören, kann seine eigenen Überzeugungen hinterfragen, weiterentwickeln und begründen. Menschen, die sich regelmäßig mit Andersdenkenden austauschen, sind kognitiv flexibler, reflektierter und entwickeln ein Verständnis für kulturelle Zusammenhänge. Das ist nicht nur eine individuelle, sondern eine gesellschaftliche Stärke. Denn dort, wo der Diskurs abreißt, beginnt die Spaltung.
Ausgrenzung schafft Radikalisierung
Wenn Menschen das Gefühl haben, wegen ihrer Ansichten sozial geächtet zu sein, suchen sie sich neue Gruppen, oft an den äußeren Rändern des Meinungsspektrums. Das Erleben von Ausgrenzung, Diskriminierung und Marginalisierung fördert Polarisierung, Vorurteile und in manchen Fällen sogar extremistisches Denken. Radikale Gruppen bieten Zugehörigkeit, Identität und das Gefühl, „endlich verstanden“ zu sein. So entsteht eine Dynamik, in der nicht mehr diskutiert, sondern nur noch gekämpft wird. Gegen „die anderen“, gegen „die Eliten“, gegen „das System“. Alle tragen dazu bei, die Andersdenkende nicht mehr als Gesprächspartner, sondern als Feinde behandeln.
Besonders deutlich wird das in der Familie. Es ist zweifellos anstrengend, wenn der Onkel bei jedem Weihnachtsessen seine politischen Floskeln von sich gibt, oder wenn die Tante beim Kaffeetrinken von „früher“ schwärmt und meint, dass damals alles besser gewesen wäre. Aber sind politische Differenzen ein Grund, den Kontakt abzubrechen? Wer den Geburtstag der anders denkenden Großmutter auslässt, weil sie „falsch“ gewählt hat, verwechselt Aktionismus mit Apathie und vergisst, dass es ihr letzter Geburtstag gewesen sein könnte.
Die Konrad-Adenauer-Stiftung hat in einer repräsentativen Studie zur politischen Polarisierung in Deutschland herausgefunden, dass sich das Meinungsklima in den letzten Jahren deutlich zugespitzt hat. Besonders alarmierend: 76 Prozent der Befragten, die einen Kontakt zu Familienmitgliedern abgebrochen haben, nannten politische Differenzen als Hauptgrund. Diese Zahlen zeigen nicht nur, wie sehr die gesellschaftliche Spaltung ins Familienleben vordringt, sondern auch, wie groß das Bedürfnis ist, sich der Auseinandersetzung zu entziehen.
Dabei braucht es genau das Gegenteil, den Dialog, die Diskussionen und den gegenseitigen Respekt. Niemand muss deshalb menschenfeindliche Positionen akzeptieren. Aber es gibt einen Unterschied zwischen konsequenter Haltung und reflexartiger Abschottung.
Wir brauchen einander, insbesondere emotional
Freundschaften, Familie, menschliche Nähe: All das funktioniert nicht nur unter ideologischen Idealbedingungen. Wer glaubt, die Gesellschaft gerechter zu machen, weil er alle Andersdenkenden aus seinem Umfeld entfernt, irrt. Veränderung braucht Austausch und nicht Abgrenzung. Demokratie lebt nicht vom Konsens, sondern vom Streit, vom offenen Austausch, vom Ringen um Positionen, vom Zuhören und Widersprechen. Wer nur noch mit denen spricht, die ohnehin einer Meinung sind, macht die Welt nicht besser, sondern kleiner.
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