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Glanz um jeden Preis: Die Schattenseiten von Make-up

Make-up ist für viele zum alltäglichen Begleiter geworden. Doch der schimmernde Glanz von Lidschatten und Highlightern hat seinen Preis: Mica, das Mineral, das in nahezu jedem Beauty-Produkt steckt, birgt eine düstere Realität.
Louisa Kurz  •  26. Mai 2025 Volontärin    Sterne  12
Das Mineral Mica sorgt unter anderem für das Glitzern des Nagellacks.. (Foto: Shutterstock)
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Make-up ist ein Ausdruck von Individualität, Kreativität und Selbstfürsorge. Doch hinter dem Glanz verbirgt sich eine weniger glänzende Realität. Während die Modeindustrie immer mehr auf ethische Standards setzt, geht es in der Beauty-Welt kaum um faire Arbeitspraktiken. Der Preis des schimmernden Make-ups? Er wird oft mit dem Leben derjenigen bezahlt, die es abbauen.

Glänzendes Multitalent: Wo Mica abgebaut wird und warum es in so vielen Industrien unverzichtbar bleibt

Es gibt 37 verschiedene Arten von Mica-Mineralien. Laut der Cosmetic, Toiletry, and Perfumery Association (kurz CTPA) ist die Elektronikindustrie der größte Nutzer und verwendet etwa 26 Prozent des weltweit abgebauten Micas. Der Abbau findet in Madagaskar, Indien, China und Brasilien statt. 

Es kommt in Halbleitern, Schaltkreisen und Lithium-Ionen-Batterien zum Einsatz. Gemahlen wird Mica in elektrischen Kabeln verwendet sowie in Gipskartonplatten als Füllstoff, in der Farb- und Kunststoffindustrie als Pigmentverlängerer und in der Elektronik als Isolator.

Circa 18 Prozent des abgebauten Micas fließen in die Make-up Industrie. Im Allgemeinen ist Mica transparent, chemisch inert, das heißt an wenig chemischen Reaktionen beteiligt, temperaturbeständig und leicht verfügbar. Mica wird als Füllstoff in der Make-up Industrie verwendet, um Falten und Poren aufzufüllen und den Hautton allgemein zu ebenen. Des Weiteren hat es den gewünschten Schimmereffekt, den viele Konsument:innen in ihrem Make-up haben wollen. 

Seine einzigartige Kombination aus Hitzebeständigkeit, Isolationsfähigkeit, Transparenz und chemischer Stabilität macht Mica zu einem unverzichtbaren Rohstoff in Hightech-, Bau- und Kosmetikbranchen. Ein Ersatz mit vergleichbarer Vielseitigkeit ist bislang kaum in Sicht.

Hinter dem Glanz: Wer vom Mica im Make-up profitiert und wer dafür zahlt

Mica stellt zwar für die Benutzenden keine gesundheitliche Gefahr, doch das lässt sich nicht für die Mica-Bergabbauer:innen oder -Hersteller:innen behaupten. Durch das Einatmen der schwebenden Mica-Partikel, reizt man die Lunge, was zur Bildung von Narben führt. Husten, Infektionen und Atemnot sind die Folgen.

Die Bedingungen verschärfen sich zusätzlich durch gesetzliche Einschränkungen

Die indische Regierung verbot durch den Forest Conservation Act ab den 1980er Jahren, aufgrund von Waldschutzmaßnahmen, den legale Mica-Abbau im Nordosten Indiens in Bihar und Jharkhand. Trotzdem nutzen die dort lebenden Menschen weiterhin die alten Schächte. Die Arbeitenden vergrößern dort händisch mit einfachsten Mitteln die Schächte, was zu einer erhöhten Einsturzgefahr der Minen führt. 

Neben den Gefahren für Gesundheit und Leben betrifft der illegale Abbau auch Kinder in erschreckendem Ausmaß. Circa 30 Prozent des Micas, das nach Europa kommt, stammt aus Indien. Im sogenannten Mica Gürtel Indiens arbeiten laut der NGO Terre des Hommes 30.000 Kinder (Stand 2025). Laut dem Nachrichtensender Aljazeera, verkaufen Unternehmen nur legales Mica aus Rajasthan. Doch Berichte und Dokumentationen zeigen auf, dass Unternehmen weiterhin Mica aus Bihar und Jharkhand beziehen. Etwa 70 Prozent des indischen Mica stammt aus illegalem Handwerks- und Kleinbergbau, wobei der Großteil mit ausbeuterischen Arbeitsbedingungen in Verbindung steht. 

Seit 2007 berichtet die britische Tageszeitung The Guardian regelmäßig über den Mica-Abbau. Doch erst der Artikel von 2016 mit dem Titel “The Price of Make-up: The Child Labour Behind the Glamour” sorgte international für Aufsehen und rückte die Missstände in den Fokus einer breiteren Öffentlichkeit. Er thematisiert die harten Arbeitsbedingung, sowie die Kinderarbeit in den beiden Regionen Bihar and Jharkhand in Indien. 

In dem 2019 veröffentlichten Kurzfilm Refinery29 ging Lexy Lebsack, die leitende Beauty-Redakteurin bei Refinery29, verdeckt in Bergbau-Gemeinden und führte Gespräche mit Kindern über ihr Leben und ihre Bedingungen, unter denen sie arbeiteten. 

2021 verfolgt CNA Insiders die Lieferketten direkt von den Mica-Minen bis zum Exporteur in Jharkhand. Die Interviews handelten über den illegalen Bergbau, den Verlust von Angehörigen und den Zusammenhang zwischen den tödlichen Gefahren und den großen Industrien.

Zwischen Ersatz und Existenz

In den vergangenen Jahren sind verschiedene Mica-Alternativen entstanden. Sie basieren größtenteils auf synthetischem Fluorphlogopit. Die Alternativen können jedoch teurer sein als natürliche Mica-Produkte. Zudem gibt es noch keinen vollständigen Ersatz für alle Produkte, die man mit Mica herstellt. Synthetisches Mica hat zum Beispiel ein helleres und weißeres Aussehen als natürliches Mica, was den Effekt im Endprodukt verändern kann.

Für viele verarmte Familien ist die Teilnahme an der Mica-Lieferkette weiterhin ihre einzige Einkommensquelle. Der Entfall dieses Einkommens würde zu erhöhter Armut führen. Deswegen haben sich einige große Unternehmen wie L´Oreal Paris oder Yves Rocher entschieden, weiterhin Mica zu beziehen. Die Lieferkette wird dabei laut Eigenangaben sorgfältig überprüft.  

Verantwortung vs. Realität: Wie Unternehmen mit Initiativen gegen Kinderarbeit vorgehen und wo sie an ihre Grenzen stoßen

Da der Mica-Abbau für die Mehrheit der Menschen in Indien überlebenswichtig ist, setzten sich lokale gemeinnützige Organisation sowie einige Unternehmen wie Estée Lauder, L’Oréal und Yves Rocher gegen Kinderarbeit ein. Und das seit 2010.

Das National Resources Stewardship Council (kurz NRSC) und die indische NGO Bachpan Bachao Andolan (BBA) initiierten 2010 das Programm “kinderfreundlichen Dörfer”. NRSC ist eine gemeinnützige Organisation, die sich auf verantwortungsvolle Beschaffung konzentriert und deren Mitglieder viele der größten Kosmetikunternehmen umfassen. 

Das Programm zielt darauf ab, Kinder in 500 Dörfern in der Region im Nordosten Indiens statt in den Minen in die Schule zu bringen. Hierbei arbeitet man mit lokalen Gemeinschaften und Regierungen zusammen. 

Laut Anna Klein, Vizepräsidentin für Unternehmensangelegenheiten bei Estée Lauder, bringt dieses Programm zwar noch nicht das Ende der Kinderarbeit in den Mica-Minen, aber es zeigt, dass verantwortungsbewusste Geschäftspraktiken und nachhaltige Zusammenarbeit bessere Bedingungen für Kinder schaffen können.

BBA berichtete The Guardian, dass sie von den 500 Dörfern bisher 100 in kinderfreundliche Dörfer umgewandelt haben. Laut dem Bericht gehen 3.650 Kinder in die Schule, wobei man neue Schulen baute und bestehende Schulen mit grundlegender Infrastruktur wie sauberem Trinkwasser, Mittagsmahlzeiten und Toiletten ausstattete (Stand 2025). 

Die Responsible Mica Initiative, kurz RMI, wurde 2017 als Reaktion auf einen Artikel im The Guardian von 2016 gegründet. Die Berichterstattung brachte die schrecklichen Bedingungen der Mica-Bergarbeiter:innen international ans Licht und thematisierte die katastrophalen Arbeitsverhältnisse in den Mica-Minen in Indien, insbesondere die Kinderarbeit und die gefährlichen Arbeitsumstände. Das Ziel der RMI sei, die Missstände zu bekämpfen und verantwortungsbewusste, transparente und nachhaltige Beschaffungspraktiken für Mica zu fördern.

RMI umfasst circa zwanzig bekannte Unternehmen wie zum Beispiel H&M, L’Oreal Paris, Porsche, Avient, and Burt´s Bees. Ihr Ziel ist es, bis 2030 illegale Arbeitsbedingungen in den Minen von Bihar und Jharkhand zu bekämpfen. Laut RMI selbst wollen sie sich hierbei auf verschiedene Bereiche fokussieren: Lieferketten und Arbeitsbedingungen, Community Empowerment und Legal Frameworks (Stand laut RMI 2021).

RMI behauptet, dass 57 Prozent des Mica-Exports aus Bihar und Jharkhand von ihnen kontrolliert werden. Doch stellt sich hier die Frage, wie legal das sein kann, wenn die indische Regierung seit den 1980er Jahren den Mica-Abbau im Norden Ostens Indiens in Bihar und Jharkhand durch den Forest Conservation Act verboten hat.

Es ist nicht alles Gold, was glänzt: Wie gefälschte Zertifikate und korrupte Strukturen den wahren Zustand des Mica-Markts verbergen

Unternehmen, die in verschiedenen Bereichen der Lieferkette tätig sind, verwenden weiterhin illegal erworbene Lizenzen und Zertifikate. Damit versteckt das lokale Management illegale Aktivitäten, was es den RMI-Mitgliedern schier unmöglich macht, exakte Berichte zu erstellen.  

Bestechungsgelder und Taktiken in diesem System erschweren es, genaue Einschätzungen der Arbeitsbedingungen zu erhalten oder die Verantwortlichen für Missbräuche zur Rechenschaft zu ziehen. Die Zeit und der Heinrich-Böll Stiftung in Auftrag gegebene Berichterstattung zeigte mit Satellitenbildern auf, dass sich in den Bundesstaaten Bihar und Jharkhand im Gebiet der alten Minen die gerodete Fläche im Vergleich zu 2016 teils mehr als verdreifacht hat (Stand 2022).

Nicht nur RMI und diverse NGO´s müssen sich gegen die fatalen und menschenunwürdigen Arbeitsumstände entscheiden, auch die Regierung Indiens muss sich dafür einsetzen. Denn nur mit ihrer Hilfe kann man das strukturelle Problem der Kinderarbeit und dem illegalen Bergabbau stoppen.

Hier findest du die im Artikel erwähnten Dokumentationen: 

The Dark Secret Behind Your Favorite Makeup Products, von Refinery29, https://www.youtube.com/watch?v=IeR-h9C2fgc, veröffentlicht am 4. Mai 2019

Behind the Glitter: Mica and Child Mining in India, von Aljazeera https://www.aljazeera.com/program/101-east/2020/6/12/behind-the-glitter-mica-and-child-mining-in-india, veröffentlicht am 20 Juli 2020: 

The Dark Secret Behind Your Shiny Makeup, von CNA Insiders, https://www.youtube.com/watch?v=LS_CR7UwhRs, veröffentlicht am 1. Mai 2021:


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