
Der iranische Geheimdienst ließ den Uniprofessor und österreichisch-iranischen Doppelstaatsbürger Massud Mossaheb fünf Jahre lang foltern. Während eines Iran-Aufenthalts hielten ihn Angehörige des iranischen Geheimdienstes auf, brachten ihn in das oberste Geschoss eines Hotels und verhörten ihn dort für vier Tage. „Sie wollten mir Spionagetätigkeiten und die Weitergabe von Informationen über den Erdöl-Export des Irans anhängen“, sagt Mossaheb. Er durfte nicht schlafen und nur einmal am Tag die Toilette besuchen. Am vierten Tag brachten sie ihn in das Evin-Gefängnis in der Hauptstadt Teheran. Von 2019 bis 2023 war er dort in Haft. „Jeden Morgen haben sie mich mit Augenbinde in ein Zimmer geführt und mich dort den ganzen Tag lang zu meinen vermeintlichen Spionagetätigkeiten befragt. Drei Monate lang wusste niemand, wo ich bin“, so Mossaheb.
Vier Jahre lang war Mussad Mossaheb im Evin-Gefängnis in Teheran Folter ausgesetzt. (Foto: Amin Zaaou)
Fast vier Monate lang war Mossaheb in einer drei Quadratmeter großen Zelle in Einzelhaft. Das Waschbecken war auf dem Boden. Der Professor musste sich hinlegen, um sich die Hände zu waschen. „Duschen durfte ich die gesamten vier Monate lang nicht. Es gab auch keine Ersatzkleidung“, sagt Mossaheb. Anschließend kam er für einen Monat in eine Zelle, die nur einen Quadratmeter groß war. Wegen ihrer geringen Fläche ist sie unter den Gefängnisinsassen als „Hölle“ bekannt. „Ich konnte weder gehen noch stehen. Sitzen war nur mit Mühe möglich“, so Mossaheb. Während der Befragungen erhielt der Professor Morddrohungen gegenüber seiner Familie und Peitschenhiebe auf die Fußsohlen. „Anschließend haben sie auf meinem rechten Bein an zwanzig Stellen Zigaretten abgetötet. Die Narben waren lange sichtbar“, sagt Mossaheb. Manchmal gab es auch Schläge auf den Rücken. Nur der Gedanke an seine Familie trieb ihn an, weiterzumachen.
Mossahebs Schicksal ist kein Einzelfall. Fast ein Drittel der geflüchteten Menschen in Österreich hat Folter erlebt. Die meisten von ihnen kommen aus Syrien, Afghanistan, dem Irak und dem Iran. Die Methoden variieren nach Region. „Schläge am ganzen Körper gibt es überall, Elektrofolter ist ein regionales Phänomen“, sagt der Nuklearmediziner und Hemayat-Gründer Siroos Mirzaei. Um noch mehr Schmerzen zu erzeugen, kommen diese in sensiblen Körperregionen wie Zunge oder Genitalien zum Einsatz. Ein weiteres beliebtes Folter-Mittel sind Scheinhinrichtungen, das Aufhängen an den Gelenken, Verbrennungen mit heißem Metall oder Zigaretten sowie sexuelle Gewalt.
In den vergangenen Jahren nahm auch die „weiße Folter“, also psychische Folter zu. Diese Form wird bei autoritären Regierungen immer beliebter, weil sie aufgrund fehlender Narben später schwerer nachweisbar ist. Etwa mit Aussagen über die Folterung oder Hinrichtung von Angehörigen versuchen die Regime die Gefangenen unter Druck zu setzen. „Syrien und der Iran arbeiten auch mit Schlafentzug, Isolation und Dunkelhaft, um den psychischen Druck zu erhöhen“, sagt Mirzaei.
Nora Ramirez Castillo, die für „Hemayat“ als Psychologin tätig ist, spricht sich für Einzeltherapie als erfolgreichste Methode aus. (Foto: Amin Zaaou)
Die psychischen Auswirkungen der Foltermethoden machen sich oft erst bemerkbar, wenn sich die Opfer nicht mehr im Gefahrengebiet befinden. „Viele unserer Patienten leiden an Konzentrationsschwäche, massiven Schlafstörungen, Albträumen und schlimmen Flashbacks, auch tagsüber“, sagt Nora Ramirez Castillo, die für den Verein als Psychologin tätig ist. Häufig kommt es auch zu posttraumatischen Belastungsstörungen.
Psychotherapie ist teuer in Österreich. Eine Stunde kostet rund hundert Euro. Die wenigsten Geflüchteten können sich das leisten. Um den Betroffenen zu helfen, gründete Mirzaei vor dreißig Jahren „Hemayat“, einen Verein zur Unterstützung von Folter- und Kriegsüberlebenden. Der Begriff stammt aus dem Arabischen und heißt übersetzt „Schutz“. Im Jahr 2024 betreuten die 62 bei „Hemayat“ beschäftigten Therapeuten 1.800 Folteropfer. Die Therapiezeit belief sich auf mehr als 20.000 Stunden. Um Sprachbarrieren zu überbrücken, ist bei den Therapie-Sitzungen meist einer der dreißig Dolmetscher des Vereins dabei.
Mit Verhaltenstherapie, Kunsttherapie und Sporttherapie versuchen die Therapeuten, den Patienten bei der Aufarbeitung der Traumata zu helfen. Fast die Hälfte der Patienten sind Frauen. Die meisten kommen einmal pro Woche in die Therapie, oft über Jahre hinweg. Bei der Behandlung achten die Therapeuten darauf, keine Flashbacks auszulösen. „Wir versuchen manuelle Therapiemethoden zu vermeiden, da die meisten Menschen, die bei uns in Behandlung sind, körperliche Folter erfahren haben“, sagt Ramirez Castillo. Auf Wunsch des Patienten würden die Therapeuten aber Shiatsu-Praktiker zur Therapie hinzuziehen. Die Massagen sollen den Patienten helfen, wieder ein positives Körperempfinden erleben zu können. Ergänzend sind auch drei Ärzte in dem Verein aktiv. Sie begutachten und dokumentieren die Folterspuren.
Ob eine Therapie erfolgreich verläuft, hängt vom Patienten, dem Schweregrad seiner Erfahrungen und seinem Vertrauen gegenüber der Therapie ab. Grundsätzlich gilt aber, je schneller psychische Leiden behandelt werden, desto besser stehen die Chancen für eine vollständige Genesung. Am besten hat sich die Einzeltherapie bewährt. Viele Folteropfer sind Fremden gegenüber misstrauisch“, sagt Ramirez Castillo.
Immer mehr aus Krisengebieten geflüchtete Menschen sind bereit, therapeutische Unterstützung in Österreich anzunehmen. Mit 790 Neuanmeldungen bei „Hemayat“ hat sich die Anzahl der Therapiebedürftigen seit 2020 verdoppelt. Die Betreuungsstunden haben sich in den vergangenen fünf Jahren sogar um siebzig Prozent erhöht. Die Nachfrage dürfte als Folge der aktuellen Krisen in der Ukraine und in Palästina in den nächsten Jahren weitersteigen.
Der Verein hat heute schon Probleme, der Nachfrage gerecht zu werden. „Die Wartezeiten für einen Einzel-Therapieplatz belaufen sich aktuell auf ein Jahr“, sagt Ramirez Castillo. Grund dafür sind ausgelastete Kapazitäten und Probleme mit der Finanzierung. Neben den Krankenkassen ist der wichtigste Hauptfördergeber der Asyl-, Migrations- und Integrationsfond. Ein weiterer Teil der finanziellen Mittel stammt von privaten Spendern und dem Sozialministerium. Auch NGOs wie Licht ins Dunkel oder Amnesty International leisten einen Beitrag. Der Bedarf sei jedoch weit höher als die zur Verfügung gestellten Mittel. „Die Therapeuten und Dolmetscher arbeiten bereits für einen sehr niedrigen Stundensatz. Für einen reibungslosen Ablauf zwischen den Betreuungsterminen leisten viele unbezahlte Mehrarbeit“, sagt Mirzaei.
Hemayat versucht mit seinem therapeutischen und medizinischen Angebot den Betroffenen ein von den Foltererfahrungen losgelöstes Leben zu ermöglichen. Auch der Integrationsprozess kann so leichter gelingen. „Erst, wenn die psychischen Leiden behandelt sind, sind die Betroffenen offen und aufnahmefähig für neue Herausforderungen, wie etwa einen Deutschkurs“, sagt Castillo.
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