
„Die Pride-Parade ist zu einem unpolitischen Saufgelage verkommen. Im Mittelpunkt steht nicht mehr der Kampf um Gleichberechtigung aller queeren Personen, sondern eine von milliardenschweren Konzernen wie Red Bull oder Primark gesponserte Partyorgie, zu der mittlerweile ohnehin mehr Heterosexuelle als Mitglieder der LGBTQ+ Community gehen.“ – So lauten zahlreiche Vorwürfe gegen die Pride.
Der scheinbare Verrat der einstigen Ideale sorgt sowohl innerhalb als auch außerhalb der LGBTQ+ Szene für Kritik. „The first Pride was a riot!“, zu Deutsch „Die erste Pride war ein Aufstand!“, ist ein oft zitierter Protestspruch, der an den ursprünglichen Kampf um Gleichberechtigung erinnert.
Es war 1969 in der New Yorker Christopher Street. Die Polizei führte wiederholt gewaltsame Razzien in Schwulenlokalen durch. Die Razzia am frühen Morgen des 28. Junis in der Szenebar Stonewall Inn sollte zum Kipppunkt werden. Queere Menschen leisteten erfolgreich Widerstand und antworteten auf die Gewalt mit Gegengewalt. Was folgte, war die Etablierung einer weltweiten Befreiungsbewegung.
Zwar finden die gegenwärtigen Pride-Paraden immer noch als Fortführung dieses Kampfes um Gleichberechtigung statt, doch verwässerte die Kommerzialisierung die gesellschaftspolitische Botschaft zunehmend. Vom Regenbogendeodorant bis zum schwulen Wodka entsenden auch dieses Jahr wieder zahlreiche Marken Produkte im Regenbogenfarbschema in die Supermarktregale. Vorgebliche Solidarität und ein progressives Image sorgen für zusätzliche Einnahmen, denn queer ist in.
Zumindest war es das. Die Vermarktung des Pride Months vermittelte ein falsches Gefühl der Sicherheit und der Stabilität. Die Regenbögen in den Supermärkten und auf den Firmenlogos wurden dieses Jahr sichtlich weniger. Zählte die Wiener Pride-Parade vergangenes Jahr noch 45 Sponsoren an ihrer Seite, so sind es aktuell nur 38. Prominente Firmen wie Absolut Vodka oder Durex weilen nicht mehr unter den Unterstützern.
Im Zuge des weltweiten Rechtsrucks zeigen sich Symptome einer Umorientierung. US-Präsident Donald Trump zählt zu den Schlüsselfiguren dieses politischen Gegenwinds. Als Sprachrohr der Neuen Rechten hetzt er regelmäßig gegen Minderheiten und Mitglieder der LGBTQ+ Gemeinschaft. Seit seinem zweiten Amtsantritt sind viele Unternehmen mit Solidaritätsbekundungen anlässlich des Pride Month merkbar zurückhaltender.
Doch in dem politischen Druck liegt auch eine Chance. Schon die Anfänge der Pride zeigten, dass Repressionen gegenüber der LGBTQ+ Bewegung oftmals zum Motor des Strebens nach Gleichberechtigung wurden. Denn repressive Politik bietet Zündstoff für Veränderung.
In Ungarn könnte die Politik von Ministerpräsident Viktor Orbán genau diesen Zündstoff liefern. Seit langem sind queere Menschen und Anhänger der LGBTQ+ Bewegung sein erklärtes Feindbild. Wiederholt beschnitt er ihre Bürgerrechte. In Budapest kommt es am 28. Juni im Rahmen der diesjährigen Pride-Parade zum Showdown von Orbáns Kulturkampf.
Das ungarische Parlament verbot die Budapester Pride in einem Eilverfahren unter dem Vorwand, dass etwaige Versammlungen das Kinderschutzgesetz verletzen würden. Besagtes Kinderschutzgesetz verbietet Minderjährigen den Zugang zu Informationen über nicht-heterosexuelle Lebensformen.
Besuchern und Organisatoren der Pride droht eine Geldstrafe von bis zu 500 Euro, da ihre vermeintliche „Homo-Propaganda“ die Jugend gefährdet. Zudem darf die Polizei zwecks Ahndung die Versammlung mit Gesichtserkennungssoftware überwachen.
Trotzdem findet die Demonstration statt. Budapest gilt unter dem Mitte-links-Bürgermeister Gergely Karácsony als liberaler Gegenpol zu Orbáns autoritärer Regierung. Das Verbot mobilisierte nicht nur queere Aktivisten, sondern auch breite Teile der Zivilgesellschaft. Vielen ist klar: Die Repressionen, die heute eine Minderheit treffen, können morgen zur Bedrohung für alle werden.
Genau das ist der springende Punkt. Eine Demokratie ist nur so stark wie ihr schwächstes Glied. Gerade in den vergangenen zehn Jahren verschwand dieser Grundsatz aus dem öffentlichen Bewusstsein. Bürger- und Freiheitsrechte sind keine Selbstverständlichkeit, sondern Errungenschaften, die es zu zelebrieren und zu verteidigen gilt. Autokraten wie Donald Trump oder Viktor Orbán zeigen, wie einfach das gesellschaftliche Gleichgewicht scheibchenweise innerhalb weniger Jahre gekippt werden kann.
Auch in Österreich diffamieren Rechtsextreme gezielt jene, die nicht in das propagierte Bild der Heteronorm passen. Aktionen wie der von der FPÖ beworbene „Stolzmonat“, ein Gegenprodukt zum Pride Month, geschehen nicht aus Überzeugung, sondern aus der Absicht, demokratische Prinzipien zu untergraben.
Egal ob hetero oder nicht, ob weiblich, männlich, dazwischen oder außerhalb, es geht um die Rechte aller. Ein Besuch der Pride lohnt sich auch diesen Juni wieder. Womöglich ist er sogar wichtiger als in den Jahren zuvor.
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