
Anna und Felix wissen nicht weiter. Ihre Mutter ist seit Tagen weg, ihr Vater wirkt angespannt. Ihre Mama ist im Krankenhaus, sagt er. Etwas stimmt nicht, das spüren sie, wagen es aber nicht, genauer nachzufragen. Immer wenn sie den Raum betreten, verstummen die Erwachsenen.
Anna und Felix werden ihre Mutter an eine schwere Krankheit verlieren. In dieser dunklen Zeit fühlen sie sich oft allein. Sie sind traurig, wissen aber nicht, wie sie damit umgehen sollen. Jeder Tag ist eine neue Herausforderung, jeder Morgen beginnt mit der Hoffnung, alles könnte doch noch gut gehen.
Was Felix und Anna erleben, war für mehr als 40.000 Halb- und Vollwaisen in Österreich Realität. Die verbliebenen Angehörigen stehen vor den gleichen Herausforderungen wie die von Felix und Anna.
Nicht verarbeitete Verluste können bei Hinterbliebenen psychische Probleme wie Depressionen, Angststörungen oder Partnerschaftsprobleme nach sich ziehen. Um dies zu vermeiden, sind viele auf Hilfe angewiesen. Ein Wiener Verein hat sich darauf spezialisiert, Kinder und Erwachsene in ihrer Trauer zu begleiten. Was tun seine Expertinnen und Experten? Wie helfen sie? Wie verkraften Kinder solche Schicksalsschläge? Und was macht ihre Arbeit mit den Helfern selbst?
Begleiten, informieren, vorbereiten
Der Rote Anker ist Teil des Hospiz Rennweg in Wien und unterstützt Kinder, Jugendliche und Erwachsene im Prozess des Trauerns. Die Psychotherapeutin und Leiterin des Roten Anker Silvia Langthaler betont, wie wichtig diese Arbeit ist: „Ich kann nicht verhindern, dass Angehörige sterben. Aber ich kann die Kinder begleiten, informieren und vorbereiten.“
In den kostenfreien Trauergruppen des Roten Anker haben Kinder die Möglichkeit, gemeinsam mit anderen Kindern zu trauern. Dort können sie spielen, Fragen stellen und offen erzählen, was sie beschäftigt. Sie drücken ihre Gefühle in verschiedenen Formen aus, malen Bilder oder basteln gemeinsam. Die gesamte Familie ist in der Zeit vor und nach dem Tod in die Begleitung einbezogen.
Trauern nur in Momentaufnahmen
Kinder gehen alle anders mit schwierigen Nachrichten um. „Manche Kinder weinen, manche werden wütend oder ängstlich, andere machen sich Vorwürfe“, erzählt die Psychotherapeutin. Kinder unter sechs Jahren verstehen oft nicht genau, was passiert ist. Dennoch spüren sie die Emotionen und haben Fragen, versuchen sich das Sterben vorzustellen.
Ältere Kinder verstehen bereits, was sie durch den Tod verlieren können. Sie verändern ihr Verhalten in der Schule oder zu Hause und reagieren verstärkt mit Ängsten oder Schuldgefühlen. Jugendliche beschäftigen sich nach Verlusten häufig mit Jenseitsvorstellungen, dem Thema Glauben oder der Sinnfrage des Lebens. Manchmal kann es auch zu aggressivem Verhalten oder Ablehnung kommen.
Nicht nur die Reaktion fällt bei allen anders aus, auch die Art zu trauern. Im Vergleich mit der Trauer bei Erwachsenen erkennt Silvia Langthaler Unterschiede. „Kinder trauern punktuell. Sie springen in Trauerpfützen und lassen nur so viele Emotionen zu, wie sie in dem Moment körperlich aushalten. So kann das Kind in den Armen der Eltern weinen, im nächsten Moment läuft es fröhlich einer Katze hinterher. Bei Erwachsenen ist die Trauer vergleichbar mit einem Fluss, sie tragen sie den ganzen Tag mit sich mit.“
Wahrheit statt Schonung
Eltern wollen ihre Kinder schonen. Beim Thema Tod sei es aber wichtig, ehrlich zu sein, betont Silvia Langthaler. Eltern sollten den Kindern alle wichtigen Informationen geben und nichts verschönern. Ausdrücke wie „Die Mama ist eingeschlafen“ oder „Papa ist von uns gegangen“ könnten zu Schlafstörungen oder falschen Annahmen führen. Erst ab fünf Jahren können Kinder den Tod als endgültigen Zustand erkennen.
Für die kleineren Kinder gibt es Kurzgeschichten, die ihnen das Sterben näherbringen. Die Formulierungen darin sind klar und deutlich. In einem Kinderbuch sagt die Mutter zu ihrem Kind: „Opa ist sehr krank und wird sterben. Er ist schon sehr lange auf der Welt und es ist schön, dass er noch mit uns beisammen sein kann. Es ist in Ordnung, wenn du traurig oder wütend bist. Mir geht es auch so.“
Die Kinder bekommen die Möglichkeit, sich zu verabschieden. Sie sprechen mit ihren Eltern darüber, was passieren wird, basteln ein Abschiedsgeschenk und besuchen gemeinsam das Grab. So wird der Tod zu etwas, über das man sprechen darf, auch im kindlichen Alltag.
Die schwerste Aufgabe bleibt bei der Familie
Beim Roten Anker wird niemand aufgefordert, die Verstorbenen loszulassen. Viel wichtiger sei es, eine Verbundenheit herzustellen, betont Silvia Langthaler. Dies kann am Grab erfolgen, aber auch auf spiritueller Ebene. Ein kindgerechter Umgang mit dem Tod bedeutet also nicht, ihn zu verharmlosen, sondern ihn begreifbar zu machen.
Die Expertinnen des Vereins unterstützen die Familien wo sie können, das Überbringen der schweren Nachrichten bleibt aber Aufgabe der Angehörigen. Dabei stehen sie den Eltern beratend zur Seite und geben ihnen Werkzeuge an die Hand, um diese Aufgabe bewältigen zu können.
Für Anna und Felix beginnt nun eine Zeit, in der sie lernen müssen, mit dem Verlust umzugehen. Der Abschied von einer geliebten Person ist nie einfach. Unterstützung anzunehmen kann aber ein erster Schritt aus der Dunkelheit sein.
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