
Es gibt viele Gründe, warum Menschen auswandern. Aber was passiert, wenn nicht Krieg oder Armut, sondern der eigene Präsident zur Fluchtursache wird?
Genau das scheint derzeit in den USA der Fall zu sein. Seit der Rückkehr Donald Trumps auf die politische Bühne wächst die Zahl der Amerikaner, die das Land verlassen wollen. Nicht nur wegen wirtschaftlicher Ängste, sondern vor allem aus politischen und gesellschaftlichen Gründen.
Sobald ein politisches Erdbeben die USA erschüttert, verzeichnen Auswanderungsplattformen einen Anstieg an Anfragen. Nach dem Urteil des Obersten Gerichtshof zur Aufhebung von „Roe vs Wade“, einem Grundsatzurteil, das seit 1973 ein verfassungsmäßiges Recht auf Abtreibung garantiert hatte, stieg das Interesse. Nach der umstrittenen TV-Debatte zwischen Joe Biden und Donald Trump verzeichnete die amerikanische Relocation-Beratung „Expatsi“ um rund 800 Prozent mehr Zugriffe. Nach Trumps Wahlsieg im November 2024 vervielfachten sich laut einer Analyse des amerikanischen Fernsehsenders CNBC die Google-Suchanfragen wie „Wie wandere ich nach X aus?“ innerhalb weniger Tage von 8.000 auf mehr als 51.000.
Expatsi-Initiatorin Jen Barnett kennt die Wellenbewegung gut. Sie gründete das Unternehmen 2022, um Amerikanern bei der Suche nach einem neuen Leben im Ausland zu helfen, sei es mit digitalen Visa-Beratungen, Gruppenreisen zur Orientierung oder Community-Angeboten für alleinreisende Frauen.
Im Jahr 2024 gelang es dem Unternehmen, fünf Prozent seiner Kunden erfolgreich beim dauerhaften Umzug in das Wunschland zu unterstützen.
Die europäischen Statistiken geben Barnett recht. In Irland stiegen die amerikanischen Anträge auf einen Pass in den ersten zwei Monaten 2025 um rund 60 Prozent. Frankreich meldete im ersten Quartal fast 2.400 Anträge auf Langzeitvisa aus den USA. Das sind über 20 Prozent mehr als im selben Zeitraum des Vorjahres. Auch Großbritannien verzeichnete einen Rekord.
Selbst im deutschsprachigen Raum ist der Effekt spürbar: Die Schweizer Stadt Andermatt etwa meldete vermehrt Kaufangebote von amerikanischen Investoren und die Max-Planck-Gesellschaft in Deutschland bekommt mehr Bewerbungen von Wissenschaftlern aus den USA. Präsident Patrick Cramer spricht von einem „neuen Talentepool“, der sich in Europa gerade eröffnet.
Besonders beliebt bei US-Expats ist Portugal. Hier gibt es attraktive Visa-Regelungen und eine entspannte Lebensweise, nach der sich viele Amerikanern nach Jahren gesellschaftlicher Daueranspannung sehen.
Das portugiesische sogenannte D7-Visum richtet sich an Pensionisten, digitale Nomaden und Remote-Worker. Vorausgesetzt, sie können ein Jahreseinkommen von rund 8.500 Euro nachweisen. Unternehmer können das D2-Visum erwerben. Dann wäre da noch das „Non-Habitual Resident“-Steuerregime, das nur 20 Prozent Einkommenssteuer auf bestimmte Einkünfte verlangt, was oft deutlich weniger als in den USA ist.
Doch obwohl der Trend bemerkenswert ist, ist die Zahl der amerikanischen Auswanderer bislang zu gering, um nennenswerte wirtschaftliche Spuren in Europa zu hinterlassen. Abgesehen von leichten Anstiegen bei Immobilienpreisen in vereinzelnden Städten ist noch unklar, welche langfristigen Effekte diese Bewegung tatsächlich haben könnte.
Dass es nicht allein an Trump liegt, zeigt ein Blick zurück: Auch nach Joe Bidens Wahlsieg 2020 stieg das Interesse am Auswandern. Die politische Lagerbildung ist in den USA stark ausgeprägt und hat Folgen.
Für die meisten potenziellen Auswanderer ist die politische Polarisierung aktuell Grund Nummer eins. Laut einer Statistik von Expatsi geben 56 Prozent der Kunden an, ihr Land sei ihnen „zu konservativ“. 53 Prozent sehen die politische Spaltung als Hauptgrund. Auffällig ist, dass besonders viele Frauen gehen wollen, sagte Barnett in einem Interview mit CNBC. Für Frauen spielen dabei Themen wie Abtreibungsrechte, Mutterschutz, Gesundheitsversorgung und Waffenregulierung eine Rolle. Barnett formuliert es in einem Artikel auf ihrer Website drastisch: „Obwohl das Patriarchat überall präsent ist, gibt es nur wenige Länder, die sich anfühlen wie ein testosterongeladenes Pulverfass, so wie gerade die USA.“
Aber auch Männer zieht es ins Ausland. Jason Stanley zum Beispiel, Professor für Philosophie an der Yale University, verließ das Land Richtung Kanada. „Faschismus ist das, was die Trump-Administration gerade macht“, sagte er der Deutschen Welle. Seine nicht-amerikanischen Freunde hätten Angst, in sozialen Medien ihre Meinung zu sagen, weil sie ihre Visa verlieren könnten. Für ihn war das der Punkt, an dem es reichte.
Trotz allem bleibt ein Aspekt, der in der US-Medienberichterstattung regelmäßig Schlagzeilen macht, überraschend selten ein tatsächlicher Grund für die Auswanderung: die wirtschaftliche Lage. Dabei ist es längst kein Geheimnis, dass Trumps Zollpolitik und sein ‘America-First’-Kurs ganze Bevölkerungsgruppen spürbar unter Druck setzen. Und genau da liegt das Problem: Auswandern ist teuer. Visakosten, „Immigration“-Anwälte, Beratung, Umzug, neue Miete. Das alles ist nicht einfach so machbar. Die aktuellen Auswanderer sind gut ausgebildet, oft wohlhabend und vernetzt. Unternehmer, Akademiker und Prominente.
Wer kein Erspartes hat, bleibt oft zurück. Auch das ist ein Symptom der aktuellen USA, denn sogar die „Flucht“ ist teilweise Klassenfrage.
Laut einer Umfrage der APA sagen 77 Prozent der US-Amerikaner, dass sie die „Zukunft der Nation“ persönlich stresst. Der Global Peace Index reiht die USA auf Platz 131 von 162. Das Bild, das sich daraus ergibt: eine Supermacht in innerem Ausnahmezustand.
Viele gehen trotzdem nicht aus Angst, sondern aus Hoffnung. Auf ein anderes Leben. Auf politische Ruhe. Auf ein Land, das sich weniger wie ein Pulverfass anfühlt. Die Motive sind verschieden und vielleicht ist der American Dream jetzt auch einfach nach Europa gezogen.
Verfasse auch du einen Beitrag auf campus a.