
Kaum ein EU-Land wächst wirtschaftlich derzeit so schnell: Laut Internationalem Währungsfonds (IWF) wird Kroatien kommendes Jahr ein BIP-Wachstum von 3,1 Prozent erzielen, was fast das Vierfache des Eurozonen-Durchschnitts ist. Die Lieblingsdestination vieler Österreicher in den Sommermonaten liefert ein wirtschaftliches Erfolgsbeispiel.
Gemacht ist der Aufstieg unter anderem durch dynamische Unternehmen. So hat Mate Rimac, der den Spitznamen „Elon Musk des Balkans“ trägt, mit seiner Firma Rimac Automobili die Welt der Elektrosupersportwagen revolutioniert. Was als Hobbyprojekt in einer Garage begann, ist heute ein Milliardenunternehmen mit mehr als 2.000 Mitarbeitern in fünf Ländern, einem jährlichen Umsatz von 500 Millionen Euro und hochkarätigen Investoren wie Porsche, Softbank und Goldman Sachs. Nach der Fusion mit Porsche 2018 sowie mit Bugatti 2021 ist Rimac in der Weltspitze der E-Mobilität angekommen. In der Nähe von Zagreb entsteht derzeit zusätzlich eine rund 30.000 Quadratmeter große Produktionsstätte für autonom fahrende Fahrzeuge. Verne, eine Tochterfirma von Rimac, will dort künftig Robo-Taxis herstellen.
Rimac ist nicht das einzige kroatische Vorzeigeunternehmen. Die Firma Infobip ist heute einer der weltweit führenden Anbieter für Cloud-Kommunikation. Sie ermöglicht es Unternehmen, über SMS, E-Mail, Push-Benachrichtigungen und Chat-Apps mit ihren Kunden in Kontakt zu bleiben und das im großen Stil. Unter der Führung von CEO Silvio Kutić verarbeitet die Plattform jährlich über 450 Milliarden Interaktionen, darunter 301 Milliarden SMS. Mit mehr als 3.600 Mitarbeitern weltweit erzielte Infobip 2023 1,7 Milliarden Euro Umsatz. Als erstes kroatisches „Unicorn“, ein Startup, das vor einem Börsengang mit mindestens einer Milliarde Dollar bewertet ist, hat Fortune das Unternehmen 2025 unter die 75 innovativsten Firmen Europas gewählt.
Photomath, eine weltweit führende Mathematik-Lern-App, die der Kroate Damir Sabol gründete, gilt als erfolgreichstes kroatisches KI-Produkt überhaupt. Mithilfe der App können Nutzer mathematische Aufgaben mit der Smartphonekamera fotografieren und erhalten daraufhin Schritt-für-Schritt-Erklärungen zur Lösung. Photomath kann weltweit mehr als 350 Millionen Downloads verzeichnen und zählt als weiteres Unicorn Kroatiens zu den populärsten Bildungs-Apps überhaupt. Im Mai 2022 hat Google die App übernommen, wobei der Kaufpreis bei geschätzten 550 Millionen Euro lag. Es handelt sich um die größte Startup-Akquisition in der kroatischen Geschichte.
Kroatien hat sich längst einen fixen Platz in der globalen Startup-Szene gesichert. Das Land rangiert laut der World Intellectual Property Organization (WIPO) weltweit auf Platz elf, basierend auf dem Verhältnis zwischen dem Wert einheimischer Unicorns und dem Bruttoinlandsprodukt. Damit liegt Kroatien sogar vor China und knapp hinter Finnland.
Laut Bernd Christoph Ströhm, Wirtschaftsexperte für Zentral-, Ost- und Südosteuropa beim Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche, stimmen Kroatiens wachsende Branchen auch mit Prioritäten der EU überein: „Besonders hervorzuheben ist der Sektor der Informations- und Kommunikationstechnologie, der durch eine wachsende Zahl qualifizierter Fachkräfte, Technologie-Startups und steigende Investitionen in die digitale Infrastruktur unterstützt wird.“ Auch der Nachfrage nach digitalen Dienstleistungen in Europa käme Kroatien vor allem in den Bereichen Softwareentwicklung und Cybersicherheit nach.
Kroatische Unternehmer sind aber nicht nur innovativ, sie überzeugen auch durch bemerkenswerte Flexibilität. Und zwar nicht im Sinne von Chaos oder Planlosigkeit, sondern von professioneller Gelassenheit im Umgang mit ständig wechselnden Bedingungen. Was heute noch gilt, kann morgen schon anders aussehen. Das stört in Kroatien niemanden besonders. Die Menschen passen sich an, denken um und machen weiter.
Selbst wenn es eng wird, der Termin wackelt oder die Ressourcen knapp sind, irgendwie klappt es am Ende doch. Die Devise lautet dann: „Relax, we still have time.“ Kroaten bleiben ruhig, finden Lösungen, und das Ergebnis kann sich ohne Abstriche bei Qualität oder Präzision sehen lassen.
Das steht in starkem Kontrast zur durchgeplanten deutschen oder österreichischen Arbeitsweise. Dinge Wochen oder gar Monate im Voraus zu planen, obwohl sich Umstände innerhalb kürzester Zeit ändern können, ist für Kroaten ein unverständliches Konzept.
Ihr erfolgsversprechendes Mindset entstand durch die wirtschaftlichen Unsicherheiten und begrenzten Perspektiven, mit denen Kroaten aufgewachsen sind. Pragmatisch und innovativ zu sein war da das Gebot der Stunde. Der Überlebenswille gilt als größter Antrieb. Daraus ergibt sich eine entspannte, belastbare und lösungsorientierte Arbeitskultur, die allem Anschein nach funktioniert.
Während Österreich sich bereits im dritten Rezessionsjahr befindet und alle Wachstumstreiber schwächeln, rangiert Kroatien im europäischen Vergleich gemeinsam mit Irland und Malta an der Spitze. Tatsächlich läge Kroatien auf Platz 1 des BIP-Rankings, würden sich nicht Irlands und Maltas Statistiken durch ihren Status als Steueroasen verzerren. Deren Zahlen spiegeln weniger die reale Wirtschaftskraft wider.
„Kroatien zählt derzeit zu den leistungsstärksten Volkswirtschaften im Euroraum“, so Ströhm. Laut aktuellen Berichten verzeichnete Kroatien 2024 im Vergleich zum Vorjahr ein kräftiges Wachstum von 3,8 Prozent. Zwar wird sich das Tempo laut Prognosen in den Jahren 2025 und 2026 auf 2,8 Prozent abschwächen, jedoch bleibt Kroatien damit weiterhin über dem EU-Wachstumsdurchschnitt.
Die durchschnittlichen nominalen Bruttolöhne in Kroatien stiegen 2024 um 15 Prozent gestiegen und dürften 2025 um weitere 8,5 Prozent zulegen. Die Reallöhne sollen dabei um rund 5,5 Prozent wachsen. Auch für die Jahre 2026 und 2027 ist mit einem weiteren Lohnanstieg zu rechnen.
Laut dem statistischen Amt der EU, EUROSTAT lag die Staatschuldenquote Kroatiens per Ende 2024 bei 57,6 Prozent und damit unterhalb dem EU-Durchschnitt. Insgesamt beträgt die durchschnittliche Verschuldung der EU derzeit 81,0 Prozent des BIP.
Ein Erfolgsfaktor Kroatiens ist die agile Nutzung europäischer Fördermittel. Kroatien ist in den vergangenen Jahren zum EU-Klassenprimus beim Verwenden von Wiederaufbaufonds geworden. Auch in den kommenden Jahren sollen die Mittel die Konjunktur weiter stützen. Für 2025 hat die kroatische Regierung rund 526,8 Millionen Euro aus verschiedenen europäischen Programmen wie dem Wettbewerbs- und Kohäsionsprogramm 2021 bis 2027, dem nationalen Aufbau- und Resilienzplan sowie dem EU-Modernisierungsfonds für Investitionen in erneuerbare Energien und die Dekarbonisierung von Fernwärmesystemen bereitgestellt.
Bernd Christoph Ströhm, Wirtschaftsexperte für Zentral-, Ost- und Südosteuropa beim Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche sagt: „Darüber hinaus unterstützen EU-Mittel den Ausbau der Infrastruktur, Innovationen und regionale Projekte und tragen so entscheidend zur Förderung von Investitionen und zur Aufrechterhaltung der Wirtschaftsdynamik bei.“
Bisher flossen 4,5 Milliarden Euro aus der Aufbau- und Resilienzfazilität (RRF) nach Kroatien, was 5,2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts entspricht. Das Land hat bislang 44,7 Prozent der ihm insgesamt zugesagten EU-Gelder ausgeschöpft. Nach aktuellen Schätzungen dürften die Investitionen aus dem Aufbau- und Resilienzplan im kommenden Jahr rund 2,5 Prozentpunkte zum Wirtschaftswachstum beitragen. Bis Ende 2026 verbleiben noch mehr als 5,5 Milliarden Euro zur Auszahlung. „Dies wird das Kroatiens Wirtschaftswachstum weiterhin stärken, doch ohne anhaltende EU-Unterstützung dürfte es schwieriger werden, die derzeitige Wachstumsdynamik aufrechtzuerhalten“, so Ströhm.
Der Tourismus bleibt das Rückgrat der kroatischen Wirtschaft. 15 Milliarden Euro setze die Branche 2024 um, was einen neuer Rekord ist. Der Beitritt zum Euroraum und zur visafreien Schengen-Zone stärkte den kroatischen Tourismussektor, der inzwischen zwanzig Prozent zum BIP beiträgt, zusätzlich. Dabei verfolgt die Politik mittlerweile einen klaren Kurswechsel: Qualität vor Quantität. Ziel ist es, die Umsätze zu steigern, nicht zwingend die Zahl der Gäste. „Der Tourismus bietet zwar eine stabile Einnahmequelle, doch die Diversifizierung der Wirtschaft und die Bewältigung struktureller Herausforderungen sind entscheidend für ein stabiles, nachhaltiges Wachstum in der Zukunft“, erklärt Ströhm.
Mit Investitionen in neue Angebote gelingt es zunehmend, die Saison auszudehnen und Kroatien als Ganzjahresdestination zu etablieren. Besonders in Istrien und Kvarner zeigen sich bereits deutliche Fortschritte.
Ein stark wachsendes Segment ist der Gesundheitstourismus, der insbesondere für wohlhabende Touristen der älteren Generationen an Attraktivität gewinnt. Private Spa, Reha- und Health-Hotels wachsen kontinuierlich, ebenso wie Spezialkliniken, die ihr Angebot laufend ausbauen. Ströhm sagt: „Gleichzeitig kann Kroatiens Tourismussektor weiterwachsen, indem er sich auf nachhaltigen Ökotourismus und Remote-Working-freundliche Reiseziele konzentriert, die den Druck auf das saisonale Küstenmodell verringern.“
Im Gegensatz zum wirtschaftlichen Aufschwung Kroatiens befindet sich Österreichs Wirtschaft in einer der schwerwiegendsten Krisen seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Bereits 2024 war Österreich mit einem Rückgang des Bruttoinlandsprodukts (BIP) von 1,2 Prozent das konjunkturelle Schlusslicht innerhalb der EU.
Auch für 2025 sehen die Prognosen düster aus. Das Wirtschaftsforschungsinstitut (WIFO) erwartet ein weiteres BIP-Minus von 0,3 Prozent, das Institut für Höhere Studien (IHS) rechnet mit einem Rückgang um 0,2 Prozent.
Was fehlt ist Schwung. Sowohl die Investitionen als auch der private Konsum stagnieren, die Exportleistungen bleiben hinter den Erwartungen zurück. Besonders betroffen ist die Industrie, die nicht nur weiter schrumpft, sondern auch die stärksten Abwärtsrevisionen verzeichnen muss. Steigende Lohnstückkosten drücken auf die Wettbewerbsfähigkeit und auf die Gewinne.
Auch in der Budgetpolitik bleibt die Lage angespannt. Die Regierung hat die Konsolidierung im Ausmaß von 6,4 Milliarden Euro angekündigt, die laut WIFO zu einem erwarteten Budgetdefizit von 3,3 Prozent des BIP führt. Das IHS geht von einem Defizit in Höhe von 3,2 Prozent aus.
Erste Hoffnungsschimmer zeichnen sich für die zweite Jahreshälfte 2025 ab. Sinkende Zinsen und eine erwartete Erholung der Industrie im Euroraum sollen die Konjunktur wieder in Schwung bringen. Für 2026 rechnen die Institute mit einer leichten wirtschaftlichen Erholung und einem BIP-Wachstum von etwas über einem Prozent.
Österreich zählt weiterhin zu Kroatiens wichtigsten Wirtschaftspartnern. Mit kumulierten ausländischen Direktinvestitionen in Höhe von 6,63 Milliarden Euro bis Ende 2024 liegt Österreich auf Platz zwei der größten Investoren. Niederlassungen österreichischer Unternehmen finden sich quer durch alle Branchen.
Laut einer Umfrage der österreichischen Auslandsniederlassungen in Kroatien herrscht unter ihnen erwartungsgemäß Optimismus. Laut Ströhm spüren auch kroatische Unternehmer den Aufschwung deutlich. Die größten Investitionshindernisse für kroatische Unternehmer sei der Mangel an qualifiziertem Personal und die Unsicherheit über steigende Energiekosten.
Dabei gilt es zu berücksichtigen, dass Kroatien noch immer ein niedrigeres Wohlstandsniveau als Österreich aufweist. Entsprechend fallen die Wachstumsraten im Aufholprozess höher aus. Obwohl die kroatische Dynamik hoch bleibt, wird sich das Tempo mit der Zeit abschwächen. Dafür sind die nachlassende Inlandsnachfrage, das geringere Wachstum der Realeinkommen sowie politische Unsicherheiten und die wirtschaftliche Schwäche besonders in Deutschland und der gesamten EU verantwortlich.
Auch auf dem Arbeitsmarkt zeigen sich strukturellen Schwächen. Trotz realer Einkommenszuwächse verdienen noch immer rund 850.000 kroatische Arbeitnehmer weniger als das monatliche Medianeinkommen von 1.160 Euro. Gleichzeitig sehen sich auch Rentner mit spürbar steigenden Lebenshaltungskosten konfrontiert. „Um langfristiges Wirtschaftswachstum zu sichern, benötigt Kroatien umfassende Arbeitsmarktreformen, die auf mehr Flexibilität und gleichzeitigen Schutz der Arbeitnehmer abzielen“, so Ströhm.
Auch die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit, die Verbesserung der Berufsausbildung und die Förderung einer Erwerbsbeteiligung von Frauen und älteren Menschen seien unerlässlich. Der Staat müsse zudem die Verbesserung der Familienpolitik und des Gesundheitswesen vorantreiben.
„Gleichzeitig sind Reformen in Justiz und öffentlicher Verwaltung entscheidend, um ein transparenteres, effizienteres und korruptionsfreies Umfeld zu schaffen, das das Vertrauen der Investoren stärkt und Geschäftsabläufe rationalisiert“, erklärt Ströhm. Die Vereinfachung von Verwaltung sei förderlich für kleine und mittlere Unternehmen.
Die Arbeitslosenquote in Kroatien lag 2024 bei fünf Prozent und dürfte 2025 erstmals darunter sinken. Auch in den kommenden Jahren wird ein schrittweiser Rückgang erwartet. Zu Jahresbeginn 2025 zeigte sich der Arbeitsmarkt bereits in bester Verfassung. Die Beschäftigung legte spürbar zu.
Kroatien kämpft jedoch mit einem Arbeitskräftemangel. Vor allem im Tourismus und in der Bauwirtschaft fehlen Saisonarbeitskräfte, die für die stark wachsende Wirtschaft des Landes unverzichtbar sind. Ein Grund dafür ist die anhaltende Abwanderung vieler Fachkräfte in andere EU-Staaten. Schätzungen zufolge sind jährlich rund 70.000 zusätzliche Arbeitskräfte nötig, um die Nachfrage in diesen Branchen zu decken.
Um dem Mangel entgegenzuwirken, setzt Kroatien selbst auf Arbeitskräfte aus dem Ausland. Insbesondere aus Ländern wie Nepal, Indien und seit einigen Jahren auch anderen Westbalkanländern, vor allem Bosnien und Herzegowina. Allein 2024 kamen rund 38.000 bosnische Saisonarbeiter ins Land.
In den ersten zehn Monaten 2024 sank die industrielle Produktionsleistung mit 0,4 Prozent nur leicht. Im Oktober wuchs der Wert im Jahresvergleich wieder um 1,3 Prozent. Die kroatischen Warenexporte stiegen in den ersten acht Monaten 2024 um 2,7 Prozent, bei Medikamenten und Medizinprodukten wuchs der Export mit 16,6 Prozent am stärksten.
Da Kroatien eng wirtschaftlich mit Ländern wie Deutschland verflochten ist, wirken sich die US-Zölle auf die europäische Automobilindustrie im Jahr 2025 voraussichtlich indirekt auf Kroatiens Exporte und Wirtschaftswachstum aus. Diese sekundären Effekte können das Wirtschaftswachstum dämpfen, auch wenn der direkte US-Handel Kroatiens insgesamt nur etwa ein Prozent des BIP ausmacht.
Besonders anfällig sind jene Sektoren, die zuletzt deutliche Zuwächse verzeichneten, darunter der Bergbau, die Ölverarbeitung sowie die Pharma- und Hightech-Branche. Gerade letztere exportiert vermehrt Elektronik und IT-Dienstleistungen in die USA, sodass sich die neuen Handelsbarrieren dort bemerkbar machen könnten.
Mate Rimac lässt sich von diesen Problemen wenig beeindrucken. Während viele noch über Risiken sprechen, sieht er sein Unternehmen weiter wachsen. Bei der jüngsten Finanzierungsrunde erhielt der Elektroautohersteller Rimac 500 Millionen Euro frisches Kapital, wodurch die Bewertung der Firma auf mehr als zwei Milliarden Euro stieg. Das Geld soll vor allem dem Ausbau des Zuliefergeschäfts und dem weiteren Wachstum dienen. Und während sich die ersten Österreicher an Kroatiens Stränden breitmachen, Liegen blockieren und Ćevapčići verdrücken, um den schlechten Nachrichten daheim zu entfliehen, umspielt ein beinahe mitleidiges Lächeln Mate Rimacs Lippen.
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