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Ablasshandel anno 2025

Was haben Nachhaltigkeitssiegel wie die Fairtrade-Initiative oder die Rainforest-Alliance mit den Qualen des Fegefeuers und dem Ablasshandel der katholischen Kirche gemeinsam? Erstaunlich viel.
Robert Gafgo  •  3. Juli 2025 Redakteur    Sterne  430
„Das Purgatorium (Fegefeuer) ist der Zustand jener, die in der Freundschaft Gottes sterben, ihres ewigen Heils sicher sind, aber noch der Läuterung bedürfen, um in die himmlische Seligkeit eintreten zu können“, besagt die Katholische Lehre. (Foto: Shutterstock)
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Meterhohes Feuer frisst sich ins Fleisch armer Sünder. In einem Meer lodernder Flammen richten sie ihren Blick gen Himmel. Die Leiber gekrümmt und die Gesichter verzerrt vor Schmerzen. Einige erheben die Hände zum Gebet. Szenen wie diese, bekannt vor allem aus mittelalterlichen Darstellungen, erinnern zunächst an die Verdammnis der Hölle. Doch diese Seelen sind nicht verloren.

Ganz im Gegenteil, sie befinden sich im Fegefeuer. Laut katholischer Lehre durchsteht die Seele hier nach dem Tod für begrenzte Zeit Qualen, um die ungesühnten Sünden ihres Lebens zu verbüßen. Das Feuer reinigt sie in Vorbereitung auf das göttliche Paradies.

Besonders im ausgehenden Mittelalter verstanden Gläubige diesen Prozess der Läuterung als ein Erleiden körperlicher Qualen. Die katholische Kirche schlug aus der Furcht Kapital. In Form von Ablassbriefen verkaufte sie die vermeintliche Absolution, mit der Gläubige ihren Qualen entrinnen konnten. Nach der Devise „Wenn das Geld im Kasten klingt, die Seele in den Himmel springt“ versuchten Abertausende, sich von ihren Sünden loszukaufen.

Der Handel mit dem schlechten Gewissen

Heute erscheint die Praxis befremdlich. Ist gekaufte göttliche Gnade nicht ein Widerspruch in sich? Waren die Menschen einst tatsächlich so naiv, einer solchen Massenhysterie anheimzufallen? Dachten sie ernsthaft, sich von Sünde und schlechtem Gewissen einfach freikaufen zu können?

Das Geschäft mit der Vergebung entwickelte sich zu einem eigenen Wirtschaftszweig, der letztlich sogar den Neubau des Petersdoms in Rom finanzierte. Erst durch Kritiker wie Martin Luther begriffen die Menschen, wie hemmungslos sich die Kirche an ihrer Leichtgläubigkeit bereicherte.

Zu gerne blicken Menschen mit Hochmut auf die angebliche Dummheit der Menschen der Vergangenheit herab. Dabei vergessen sie schnell, wie ähnlich sie ihren Vorfahren sind. Der Mensch war seit jeher derselbe. Es änderten sich lediglich seine Lebensumstände. Die Zeit mag vergehen, doch Geschichte wiederholt sich.

Was einst der Ablassbrief war, ist heute die Vielzahl an Siegeln, Logos und Etiketten im Namen der Nachhaltigkeit. Ob BioFairtrade oder Rainforest Alliance sie mögen gewiss an einigen Punkten wichtige Akzente setzen. Doch wirkt der Handel mit der Nachhaltigkeit nicht eher wie ein Geschäftsmodell, das aus einem schlechten Gewissen Geld macht? Was steht hier tatsächlich zum Verkauf, Nachhaltigkeit oder Absolution?

Sündenerlass im Supermarkt

Kaum jemand, der oder die nicht schon einmal während des Einkaufs überlegte, welches das bessere Produkt wäre. Die normale oder lieber die Bio-Avocado? Herkömmliches Rindfleisch aus der Tierfabrik oder doch das Rinderfilet aus nachhaltiger Weidewirtschaft? Schokolade mit Kakao aus Kinderarbeit oder eher die Fairtrade-Variante?

Der Umwelt und dem Menschen zuliebe kaufen täglich Millionen Konsumenten die teurere, aber vermeintlich nachhaltigere Option. Den Wenigsten ist dabei klar, wie viel Berechnung in der Zusammenstellung eines Supermarktsortiments steckt. Jeder Käufer und jede Käuferin ist einer Konsumentengruppe zuordenbar. So wie billige Eigenmarken preisbewusste Verbraucher abholen oder Premiumprodukte finanziell besser gestellte Käufer ansprechen sollen, so erreicht das Image der Nachhaltigkeit die umweltbewusste Kundschaft.

Die unangenehme Wahrheit

Die tatsächliche oder vermeintliche Seriosität der unzähligen Nachhaltigkeitssiegel sei an dieser Stelle nicht in Frage gestellt. Bewusster Konsum ist gewiss kein Fehler. Doch liegt das wahre Problem weitaus tiefer.

So wenig wie die Seele durch den Erwerb von Ablassbriefen Eingang ins Paradies findet, so unmöglich ist es, sich zum Beispiel aus der Klimakrise freizukaufen. Sei es nun durch CO₂-Steuern oder Bio-Aufkleber. Es ist weniger die Art des Kaffees, die das Klima belastet, als dessen Menge, die die Industrienationen jährlich konsumieren. So berechnete das Bundesministerium für Nachhaltigkeit und Tourismus den CO₂-Ausstoß einer einzelnen Tasse Kaffee mit 50 bis 200 Gramm. Ein Auto stößt durchschnittlich 120 Gramm CO₂ pro Kilometer aus.

So gesehen vermittelt das Label „Nachhaltigkeit“ ein falsches Verständnis von Konsum. Jeder Produktionsschritt und jedes Glied der Lieferkette verbraucht Ressourcen. Wirklich nachhaltig ist nur das Produkt, das nicht existiert.

Deswegen darf Nachhaltigkeit nicht beim Einkauf enden. Ein Umdenken im Verständnis von Wirtschaftlichkeit ist überfällig. Die Logik des unendlichen Wirtschaftswachstums lässt sich auf einem Planeten mit endlichen Ressourcen nicht umsetzen. Schon Kinder verstehen am Beispiel eines Luftballons: Unendliches Wachstum führt unweigerlich zur Selbstvernichtung. Auch mit hübschen Siegeln.

Umdenken heißt Überleben

Wer glaubt, die Welt allein mit dem Kauf von BioFairtrade und als „nachhaltig“ etikettierten Produkten zu retten, unterliegt einem gefährlichen Irrtum. Der Ablasshandel der Gegenwart verkauft ein gutes Gewissen, aber keine effektive Veränderung.

Nicht jedes Label mag des Greenwashings schuldig sein, doch lenkt der moralisch aufgeladene Konsum von der eigenen Rolle im zerstörerischen System ab und verleitet zur Passivität.

Wirklicher Wandel beginnt nicht beim Etikett auf der Verpackung, sondern bei der Frage, wie viel wir wirklich brauchen. Wie kann eine Wirtschaft aussehen, die nicht auf immer mehr Konsum angewiesen ist? Zu lange hielt der Glaube an das kapitalistische System. Zu groß war die Angst, als Kommunist verlacht zu werden, um auch nur den Gedanken an eine Alternative aufkommen zu lassen. Doch das momentane Lebensmodell gerät an seine Grenzen.

Nachhaltigkeit darf kein Produktversprechen sein, sondern muss zu einem gesellschaftlichen Prinzip werden. Nicht der Konsum, sondern Taten und Ideen retten die Welt.

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