Auch bei Beerdigungen gibt es Trends und der aktuelle macht den Friedhofsbetreibern zu schaffen. Urnenbestattung entspricht dem Zeitgeist, klassische Gräber werden damit überflüssig. Was tun damit? Die Friedhöfe Wien GmbH bietet gemeinsam mit dem auf biozertifizierte Gemüsegärten spezialisierten Unternehmen Ackerhelden Urban Garding auf Grabstellen an. Inklusive Rundum-Beratung vor Ort, per Telefon oder per E-Mail. Ein eignes Beet ist bereits ab 149 Euro pro Jahr erhältlich, das ist im Vergleich zu anderen Anbietern billig.
Statt immer nur „Radieschen von unten“ jetzt also auch Zwiebel, Tomaten, Erbsen oder Erdbeeren? Das nicht, denn Tote ruhen dort keine mehr. Ein seltsames Gefühl beschleicht Beobachter dennoch, auch wenn es logisch schwer argumentierbar ist. Deshalb haben wir bei einer Historikerin nachgefragt, die seit Jahren die Wirkung von Orten untersucht und darüber unter anderem das Buch „Der Topophila-Effekt“ geschrieben hat. „Orte haben bestimmte Wirkungen, derer sich Menschen früher viel eher bewusst waren als heute“, sagt die Austro-Italienerin Roberta Rio im Gespräch mit campus a. „Wenn sie an einer bestimmten Stelle einen Friedhof angelegt haben, dann hatten sie gute Gründe dafür. Die Wirkung des Ortes war dann, einfach aufgrund von Beobachtungen und intuitiven Wahrnehmungen, eher als zersetzend statt als belebend bekannt.“
Gärtnern am Friedhof: Zersetzende statt aufbauende Wirkung von Orten, an denen Friedhöfen entstanden? (Foto: Harald Lachner / OTS)
Zur Nachnutzung für Friedhöfe empfiehlt die Wissenschaftlerin, die derzeit ein Forschungsprojekt in Rom leitet, eher Projekte wie Kompostierungsanlagen als Gärten, deren Früchte „ja Kraft und Gesundheit schenken sollen“. „Diese Dinge lassen sich heute im historischen Kontext zeigen, aber naturwissenschaftlich nicht belegen, weshalb sie leider noch in den Bereich der Spinnerei fallen“, sagt sie. Sie selbst würde jedenfalls weder Obst noch Gemüse essen, das von einem Friedhof stamme. Gleichzeitig hat sie Verständnis für das neue Angebot der Friedhöfe. „Auch im Mittealter tauchte die Frage der Nachnutzung aufgelassener Friedhöfe auf und war umstritten. Es gab ein eigenes Gesetz, das die landwirtschaftliche Nachnutzung aus pragmatischen Gründen ausdrücklich legitimierte.“
Warum Urban Gardening trotzdem so gut ankommt erklärt Lisa Pernkopf von der Friedhöfe Wien GmbH „Das Projekt verbindet. Es bilden sich Communitys, die sich gegenseitig unterstützen und miteinander arbeiten“, erzählt sie im Gespräch mit campus a.
Da sich das Projekt ausschließlich an Kunden richtet, lässt sich das ganze gut mit einem Besuch am Friedhof verbinden. „Das Gärtnern ist etwas Sinnstiftendes und Beruhigendes, es kann Trost spenden. Der Anbau von etwas Neuem ist ein Symbol für den Kreislauf des Lebens“, so Pernkopf. Sie betont, dass trotz einzelner kritischer Stimmen das Feedback überwiegend positiv ist. „Friedhöfe sollen mehr als eine Begräbnisstäte sein. Das Ziel ist, einen Ort der Begegnung zu schaffen.“ Besonders beliebt sind Salate, Zucchini und Kräuter, alles was leicht zu pflegen ist.
Urban Gardening ist eines von vielen Projekten. Die Friedhöfe Wien GmbH baut ihre Angebote immer weiter aus. Ein Beispiel dafür sind die Laufstrecken am Zentralfriedhof. „Ich verstehe es, wenn Menschen, die keine anderen Grünräume in der Nähe haben, dort joggen“, sagt Historikerin Rio. „Menschen früherer Generationen hätten das aufgrund Ihres Wissens über die Wirkung von Orten nicht getan, aber die hatten es meist auch näher in den Wald.“ Sie selbst würde jedenfalls keinen Friedhof aufsuchen, wenn sie Muskeln auf- statt abbauen wollen würde.“
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