Was für viele das große Ziel im Leben ist: die Liebe zu finden, eine Beziehung zu führen, vielleicht sogar eine Familie zu gründen, das hinterfragt die Kulturwissenschaftlerin Beatrice Frasl radikal. In ihrem Buch Entromantisiert Euch entlarvt sie die romantische Paarbeziehung als Ort struktureller Ungleichheit und emotionaler Ausbeutung. Ihre These: Heterosexuelle Beziehungen sind selten ein Ort der Gleichberechtigung, oft aber ein Ort unbezahlter Care-Arbeit, Ausbeutung und sozialer Isolation. Doch ist das wirklich so? Sind Paarbeziehungen per se antifeministisch, oder kommt es darauf an, wie wir sie gestalten?
Ich habe mit drei jungen Frauen im Alter von 20 bis 25 Jahren gesprochen, wie sie diese These sehen und was passieren muss, damit Liebe nicht zur Last, sondern zu einer gleichberechtigten Verbindung wird.
„Das Schicksal der Frau in einer heterosexuellen Paarbeziehung: Gratis Haushälterin, Dienerin, und Therapeutin”
Sobald aus Verliebtheit eine feste Partnerschaft wird, bedeutet das für viele Frauen vor allem Arbeit, so Frasl. Statt einer gleichberechtigten Aufteilung tragen Frauen die Hauptlast. Ihre Diagnose lautet: „Sie werden sehr viel im Haushalt arbeiten, Sie werden sehr viel an ihrer Beziehung arbeiten. Sie werden sehr viel für ihren Partner arbeiten.”
Diese Arbeit werde häufig aus Liebe verrichtet, allerdings ohne entsprechende Anerkennung oder Gegenleistung. Die Zahlen sprechen für sich: Selbst, wenn Frauen und Männer im gleichen Ausmaß erwerbstätig sind, erledigen Frauen 63 Prozent der Hausarbeit und 67,3 Prozent der Kinderbetreuung. In Deutschland leisten Frauen insgesamt 44,3 Prozent mehr unbezahlte Arbeit als Männer. Damit entpuppt sich die vermeintliche Gleichberechtigung in modernen Paarbeziehungen als Illusion.
Auch meine Interviewpartnerinnen bestätigen die Kritik von Beatrice Frasl an der ungleichen Arbeitsverteilung. Die Interviewpartnerin Sofie (Name geändert), 23 meint: „Frauen übernehmen nicht nur mehr Care-Arbeit sondern auch einen Großteil der emotionalen und sozialen Arbeit.” Dazu zählen neben Haushalt und Kinderbetreuung auch das Organisieren von Geburtstagen, und anderen sozialen Zusammenkünften. Gleichzeitig sieht sie darin auch einen Vorteil: „Auf sozialer und emotionaler Ebene sind die Männer von uns abhängig.”
Lena (Name geändert), 22 bestätigt ebenfalls die ungleiche Aufteilung der Beziehungsarbeit. Sie bemerkt bei ihrem Exfreund: „Wir haben zwar gemeinsam gekocht, aber wenn es um das Aufräumen ging, hat er mich allein gelassen. Für ihn war selbstverständlich, dass ich das mache.”
Meine dritte Interviewpartnerin Tina (Name geändert), 21 nennt ihre Mutter als Beispiel, die in der Beziehung zu ihrem Vater stark gelitten habe, während er sich aus der Verantwortung zog: „Mein Vater hat nichts für mich geopfert. Meine Mutter musste sich um alles kümmern, drei kleine Kinder, neue Wohnung, alles hing an ihr.” Gleichzeitig betont sie, dass nicht jede Beziehung so aussehen muss. Gerade in ihrer Generation hebt sie hervor: „Wir sind nicht mehr gezwungen, in Beziehungen zu bleiben. Wenn ich merke, dass ich ausgenutzt werde, kann ich es ansprechen oder gehen.”
Sind Rollenverteilungen noch zeitgemäß?
Anders als Beatrice Frasl lehnt Sofie traditionelle Rollenverteilungen nicht pauschal ab, sondern fordert eine gerechte Absicherung von Frauen: „Man darf einer Frau nicht unterstellen, dass sie das nur macht, weil sie dazu gesellschaftlich gezwungen wird. Ich finde, man sollte Frauen nicht davon abhalten, Care-Arbeit zu machen, sondern es mehr würdigen.” Wichtig ist ihr dabei die wirtschaftliche Sicherheit für Frauen.
Sie nennt konkrete Maßnahmen wie das Pensionssplitting, bei dem Rentenansprüche innerhalb einer Beziehung aufgeteilt werden. Solche Mechanismen existieren, sind aber kaum bekannt und werden deshalb selten genutzt. Auch das gesellschaftliche Stigma gegenüber alleinerziehenden Frauen kritisiert sie: „Warum wird über eine alleinerziehende Mutter geschimpft, aber nicht über den Vater, der abgehauen ist?”
Lena betont die individuelle Entscheidung der Frau, die Mutterrolle zu übernehmen. Sie nennt als Beispiel ihre eigene Mutter, die sich nach der Geburt entschloss, für einige Jahre zuhaue zu bleiben und danach 60 Prozent zu arbeiten. Diese Entscheidung bereut sie nicht. „Sie hat es gern gemacht und hatte trotzdem die Wertschätzung im Job.” Gleichzeitig meint die Interviewpartnerin: „Mir wäre es wichtig, finanziell abgesichert zu sein. Ich möchte nicht die ganze unbezahlte Arbeit machen und am Ende mit nichts dastehen.”
Für sie ist deshalb klar, dass Frauen frei wählen könnten sollten, ohne verurteilt zu werden. Sie meint, Frasl übersieht die Frauen, die gerne zuhause bleiben und sich um die Kinder kümmern. Sie findet ihre Perspektive zu einseitig: „Ich würde das traditionelle Rollenbild nicht grundsätzlich verteufeln, mir ist es nur wichtig, dass es die Entscheidung der Frau ist.”
Nur noch Platz für die Liebe? Wie Freundschaften im Schatten stehen
Neben der finanziellen und emotionalen Ebene stellt Frasl eine weitere zentrale Frage: Warum gilt die romantische Paarbeziehung als höchstes Ideal, während andere Beziehungsformen wie Freundschaften oft als zweitrangig gelten?
Sie schreibt in ihrem Buch: „Wir leben in einer Welt, in der verschiedene Beziehungstypen in einer starren Hierarchie zueinanderstehen, […]. An der Spitze thront die romantische Beziehung […] Alles andere wird irgendwo darunter einsortiert.“ Frasl kritisiert diese Hierarchie und hinterfragt: “Warum halten wir das eine für wesentlich wertvoller als das andere” Sie betont, dass Freundschaften häufig verlässlicher sind als Paarbeziehungen, denn: “Sie sind diejenigen, die uns immer wieder auffangen, wenn unsere Partner uns verlassen oder wir sie.”
Lena bestätigt die These, dass Freundschaften in der Gesellschaft häufig zu kurz kommen beziehungsweise der romantischen Beziehung untergeordnet sind. In ihrem Umfeld fällt ihr auf, wie viele Freundschaften vernachlässigen, sobald sie in einer Beziehung sind. „Man nimmt sich kaum mehr Zeit für den anderen”.
Besonders schockierend findet sie die Aussage einer Freundin: „Wenn ich einen Partner habe, dann ist der Priorität Nummer 1 in jedem Lebensbereich und einer anderen Person muss es richtig, richtig schlecht gehen, dass ich sie ausnahmsweise mal zur Priorität mache.”
Auch Tina beobachtet, wie häufig Freundschaften hinter romantischen Beziehungen zurückstehen, vor allem zu Beginn einer Beziehung. Viele Menschen fokussieren sich anfangs stark auf den Partner: „Man konzentriert sich mehr auf die Beziehung, gibt sich Mühe, investiert mehr Zeit, weil man möchte, dass es klappt.” Dadurch geraten Freundschaften oder auch persönliche Hobbys in den Hintergrund.
Dieses Verhalten ist für sie zwar verständlich, könnte aber auf Dauer problematisch werden: „Wenn auf Dauer Freunde und eigene Interessen vernachlässigt werden, ist es ungesund.” Sie betont daher die Bedeutung eines gesunden Gleichgewichts. „Ich fokussiere mich dann wieder auf mich, unternehme was mit Freunden und gehe meinen Hobbys nach.”
Sie meint im Alltag falle ihr immer wieder auf, wie stark, das Thema Beziehung im Fokus steht. In ihrem Umfeld sprechen Freundinnen zunehmend über Beziehungen: “Eine Freundin von mir fragt mich jedes Mal wenn wir uns sehen: „Na wie läufts mit den Boys? Immer das Gleiche.” Sie findet es schade, manchmal das Gefühl zu bekommen, alle anderen Dinge in ihrem Leben seien im Vergleich zu einer romantischen Beziehung nur Nebensache und irrelevant.
Zweisame Einsamkeit in der Beziehung
Die Idealisierung der romantischen Liebe führt laut Frasl in eine „Zweisame Einsamkeit“. Menschen isolieren sich zunehmend von ihrem sozialen Umfeld, verlieren Freundschaften und werden schließlich auch innerhalb einer Beziehung einsam. Sie schreibt: „Romantische Beziehungen sind Gift für soziale Gefüge, sprengen Beziehungen, isolieren, vereinzeln und vereinsamen.“
Frasl kritisiert das Ideal der romantischen Liebe in ihrem Buch wie folgt: „Nichts wird von ihnen übrig bleiben, im Idealfall, wenn die Liebe die echte und wahre ist. Sie werden sich auflösen im Spiegel einer anderen Person.” In diesem romantischen Konzept brauche man „nichts anderes mehr als diese Person” und habe „keine Zeit mehr für irgendetwas anderes oder irgendjemand anderen”. Doch wer sich vollständig auf eine einzelne Beziehung fokussiert, zahlt in ihren Augen einen hohen Preis: „Ich werde Ihnen sagen, dass romantische Beziehungen einsam machen […] sie rauben uns Beziehungen”.
Auch meine Interviewpartnerinnen unterstützen die Kritik Frasls. Romantische Beziehungen können sozial isolieren, allerdings, da waren sich alle drei einig, nur dann, wenn sie zur einzigen engen Verbindung im Leben wird. Sofie stellt klar: „Eine Partnerschaft kann einem nicht alles geben, denn sie erfüllt nicht jedes Bedürfnis.” Wer sich nur auf eine Person konzentriert, vernachlässigt oft seine Freundschaften und setzt sich damit im Falle einer Trennung einem hohen Einsamkeitsrisiko aus.
Isolation in Beziehungen hängen also auch vom eigenen Verhalten und Lebensstil ab. Sie betont: „Man isoliert sich in Beziehungen nur, wenn man sich dazu entscheidet oder generell keine stabilen Freundschaften hat. Das ist in meinen Augen Typ-abhängig.” Sie beobachtet, wie vor allem Menschen, „die von Beziehung zu Beziehung schlittern”, eher von Einsamkeit betroffen sind. Wer dagegen in einer Beziehung und auch als Single Freundschaften pflegt, ist sozial besser eingebunden.
Sind Paarbeziehungen nun antifeministisch?
Die Interviewpartnerinnen erkennen an, dass Paarbeziehungen nicht per se antifeministisch sind. Es hängt davon ab, wie sie gelebt werden. Sie kritisieren, wenn romantische Beziehungen zur einzigen sozialen Bindung werden und dadurch Freundschaften oder individuelle Bedürfnisse vernachlässigt werden. Gleichzeitig sehen sie in Partnerschaften auch Potenzial, vorausgesetzt beide Partner handeln gleichberechtigt, unterstützen sich gegenseitig und die Beziehung basiert auf gegenseitigem Respekt.
Frauen können sich bewusst für bestimmte Rollen, etwa die Kinderbetreuung entscheiden, ohne dabei automatisch in klassische Abhängigkeitsmuster zu fallen. Die Kritik richtet sich weniger gegen die Paarbeziehung selbst, sondern gegen gesellschaftliche Strukturen und Erwartungen, die Frauen in Rollen drängen. Frasls Perspektive öffnet den Blick für diese Risiken, doch die Interviewten wünschen sich mehr Differenzierung: Beziehungen können auch gleichwertig, unterstützend und erfüllend sein, sofern sie nicht zur einzigen Lebensgrundlage werden.
Fazit: Paarbeziehungen sind nicht grundsätzlich antifeministisch. Problematisch wird es erst, wenn sie Freiheit, Selbstverwirklichung und soziale Kontakte einschränken.
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