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Polit-TikToker Andreas Grassl im Interview

Sportkommentator und TikTok-Star Andreas Grassl im campus a Interview über seine Karriere im Journalismus und warum Rainer Pariasek der Grund für seine Karriere als Sportkommentator ist.
Anna-Katharina Patsch  •  16. Juli 2025 CvD    Sterne  248
Andreas Grassl: „Im schlimmsten Fall lande ich in einer Strafkolonie“ (Foto: privat Andreas Grassl)
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Er recherchiert auf Telegram, streamt auf TikTok und glaubt nicht an klassische Medien. Andreas Grassl, Sportkommentator und Social-Journalist, bewegt sich zwischen Fußballstadion und Weltpolitik. Mal berichtet er über iranische Atomanlagen, mal über Champions-League-Spiele. Im Interview spricht er über gescheiterte YouTube-Karrieren, russische Trolle, und warum er lieber einen Straflageraufenthalt riskiert, als 17 Feedbackrunden mit einem öffentlich-rechtlichen Sender zu führen.

Wie wurde aus einem sportjournalistisch interessierten HTL-Schüler ein digitaler Krisenerklärer? Was treibt ihn an und was hält ihn zurück? Ein Gespräch über Geltungsdrang, Risiken, Recherche, Trollarmeen und die Zukunft des Journalismus.

campus a: Wolltest du schon immer Journalist werden?

Andreas Grassl: Nein. Ich wollte mit so 17,18 Sportjournalist werden. Der Grund war ziemlich simpel, ich war überzeugt, dass der österreichische Sportjournalismus zu schlecht ist. Rainer Pariasek war für mich ein Sinnbild. Ich habe mir gedacht: Das kann man besser machen.

Gab es Unterstützung von zu Hause? Hat deine Familie das journalistische Interesse gefördert?

Nicht aktiv. Aber es gab Zufälle, die prägend waren. In der Küche war am Bartresen eine Weltkarte, genau auf meiner Augenhöhe, als ich noch sehr klein war. Ich konnte noch nicht lesen, aber ich habe mir die Hauptstädte der Welt eingeprägt. Mit drei konnte ich sie dann auch. Es war kein gezieltes Fördern, eher ein unbeabsichtigtes Prägen. Aber das hat gereicht.

Wie sah dann dein Einstieg in den Journalismus aus? 

Damals war ich auf der HTL, ehrlich gesagt, nur weil meine Cousins das auch gemacht haben. Irgendwann kam dann die Wendung, die auch viel Mut gefordert hat. Ich habe die Karriere als Ingenieur hinter mir gelassen und mich fürs Journalismusstudium beworben. Das Ziel war dabei immer, Sportkommentator im Fernsehen zu werden. Dazwischen habe ich mich aber auch ausprobiert, einen YouTube-Kanal gestartet, der krachend gescheitert ist, verschiedene kleine Projekte. Ich wollte mir sozusagen ein zweites Standbein aufbauen, welches politischer und gesellschaftlicher ist. Während des Studiums habe ich schon für die Sportzeitung geschrieben. Danach wollte ich gleich zum Fernsehen, aber bei Puls4 hat man mir gesagt: „Drei Jahre dauert’s, bis du mal kommentieren darfst.” Das war mir zu lang.

Wie bist du dann zu deinem Job bei CANAL+ gekommen? 

Ich bin in die PR gewechselt, war bei Red Bull Salzburg. Dann kommentierte ich erste  Fußball-Vorbereitungsspiele für ServusTV und dann Sky. Mittlerweile bin ich für CANAL+ als Sportkommentator tätig und parallel seit drei Jahren auf TikTok, später auch Instagram und YouTube mit unserem Podcast. 

Wie sieht dein Alltag mit diesen zwei Standbeinen, Sport und Politik, eigentlich aus? Ist das nicht stressig?

Eigentlich geht’s. Sportkommentare sind oft am Abend oder am Wochenende, wenn andere frei haben. Das heißt, das Tagespolitische bleibt davon relativ unberührt. Ich stehe meistens gegen neun auf, schaue mir an, was über Nacht passiert ist, und mache, falls etwas Relevantes passiert ist, gleich das erste Video. Wenn nicht, fahre ich ins Büro und starte dort. Manchmal mache ich ein zweites Video, gehe am Abend live, oder arbeite an einer Kooperation. Kürzlich habe ich zum Beispiel eine Doku für die Wiener Zeitung gedreht.

Wie gehst du an deine Recherchen heran, wenn weltpolitisch etwas passiert?

Ich beginne meist mit Agenturmeldungen. Einfach, weil die die W-Fragen beantworten: Was ist passiert, wer ist beteiligt, wo, wann, wie. Interpretation mache ich dann am liebsten selbst. Zur Einordnung und für Beweise bin ich sehr viel auf X und Telegram unterwegs. Telegram hat zwar bei uns einen schlechten Ruf, aber für mich ist es eine der besten Quellen, gerade in Konfliktzonen. Wenn ich sehen will, was in Syrien wirklich abgeht, dann finde ich dort ungeschöntes Material, schrecklich, aber dokumentarisch wertvoll. Ich verwende das nicht direkt in meinen Videos, weil ich sonst einen Strike kassiere, aber zur Verifikation ist es immens hilfreich. Die Telegram– Gruppen sind einfach schneller als jedes klassische Medium. Und das ist auch meine Existenzberechtigung: Entweder bin ich schneller oder ich bilde eine Nische ab, die andere ignorieren.

Du warst beim Israel-Iran-Konflikt extrem schnell mit Infos. Wie gelingt dir das?

Ich habe keine klassischen 9-to-5-Verpflichtungen. Das ist ein großer Vorteil. Und ehrlich gesagt: Es ist auch ein bisschen „Love for the Game“. Ich finde es schön, dass Leute wie ich, die sich in OSINT [Anm.: Informationsgewinnung aus offenen Quellen]-Gruppen unterirdische iranische Anlagen anschauen, plötzlich eine Bühne bekommen. Früher war das freakig, heute schauen sich das hunderttausende Menschen an. Das ist eine irre Entwicklung.

Warum hast du dich für Social Media entschieden und nicht für den klassischen Journalismus-Weg bei einer Zeitung oder einem Sender?

Ich habe eine Ablehnung gegenüber dem organisierten Journalismus. Teilweise, weil die Branche so schlecht angesehen ist wie die Politik. Aber vor allem, weil die Distanz zwischen Journalist und Publikum riesig ist. Ich will das Gegenteil: Nähe. In den Lives können die Leute mich persönlich erleben. Und trotzdem halte ich eine journalistische Trennung zwischen Information und Meinung ein. Ich habe mit vielen klassischen Journalisten studiert, die Szene ist sehr selbstverliebt. Ich kenne keinen Berufsstand, der sich selbst so großartig findet. Ich bin fast stolz darauf, nicht Teil dieser „Klasse“ zu sein. 

Du arbeitest allein. Wie stellst du in dieser Arbeitsweise deine Unabhängigkeit sicher?

Der finale Bewerter journalistischer Arbeit ist nicht ein Chefredakteur, sondern das Publikum. Selbst wenn ich redaktionelle Prozesse hätte, würde ich mich nicht daran messen. Ich messe mich an den Reaktionen meiner Rezipienten und die sind auf Social Media brutal ehrlich. Im Guten wie im Schlechten. Ich sehe aber die meisten Kommentierenden auf Social Media auf Augenhöhe. Viele davon sind extrem klug. Mittlerweile habe ich gelernt, Trolle von echten Usern zu unterscheiden. Und die ernst gemeinte Kritik nehme ich sehr ernst. Wenn ich mit traditionellen Medien zusammenarbeite, frustriert mich oft der langwierige Prozess. 17 Feedbackrunden, die oft nichts verbessern. Die erste Version ist oft die beste und das nervt mich an klassischen Strukturen.

Welche Interessen verfolgen die Trolle?

Ich vermute, einige von ihnen agieren im Sinne russischer Interessen. Beweisen kann ich es nicht. Dafür fehlen mir die Metadaten. Aber das Muster ist auffällig: Sie posten immer, unabhängig von Uhrzeit oder Reichweite. Und sie tun das mit Kommentaren, die inhaltlich gut aufs Video abgestimmt sind, aber immer das Ziel haben, die Gesellschaft zu spalten oder Misstrauen zu säen. Gegen Politik, gegen Medien, gegen Institutionen. Ich sperre sie nicht – aus Neugier. Für mich ist das ein Experiment. Ich will wissen, welche Narrative sie verbreiten. Auch wenn ihre Intentionen negativ sind, geben sie Aufschluss.

Du warst vor kurzem in Russland. Was fühlst du, wenn du dort bist, vor allem angesichts des Risikos?

Ich bin mir der Konsequenzen bewusst, aber ich denke nicht ständig daran. Ich versuche, mich zu schützen und vor allem die Menschen dort, die mir helfen. Sie kommen in Videos nicht vor, sie wissen vielleicht gar nicht, welches Risiko sie mittragen. Und deswegen rede ich darüber auch sehr kryptisch. Im schlimmsten Fall lande ich in einer Strafkolonie, wenn ich überlebe, wird’s vielleicht ein gutes Buch. Aber ich möchte nicht, dass andere für meine Arbeit leiden müssen.

Du hast gesagt, soziale Medien sind für dich nicht nur die Zukunft, sondern schon die Gegenwart des Journalismus. Wie siehst du die Entwicklung?

Im Studium vor sechs, sieben Jahren hieß es: „Journalismus ist tot. Nicht mehr monetarisierbar.“ Ich sehe das anders. Das Bedürfnis nach Information ist universell. Der Journalismus verändert sich nur, Menschen nehmen diese Rolle jetzt selbst ein. Influencer, Creator, Streamer, viele von ihnen machen journalistische Arbeit, ob sie es wollen oder nicht. Ich glaube, Medienmarken werden an Bedeutung verlieren, Menschen an Bedeutung gewinnen. Weil wir nicht auf Marken reagieren, sondern auf Gesichter, Stimmen, Persönlichkeiten. Ich schaue nicht ZDF, weil ich ZDF liebe, sondern wegen Lanz, den ich mag oder hasse. Und das ist genau der Punkt: Wir bauen Beziehungen zu Menschen auf, nicht zu Logos.

Auf Social Media werden häufig Fake News verbreitet. Hast du trotzdem Hoffnung, dass Medienkompetenz in der Gesellschaft wächst?

Ja. Ich traue den Menschen mehr zu als viele andere in Österreich. Es gibt Phasen, da denkt man: Alle sind nur von Idioten umgeben, aber das denken alle. Die Dummen sind immer die anderen. Ich glaube, wir sollten uns davon nicht zu sehr leiten lassen. Man sieht es ja: Diese ganze Menosphere um Andrew Tate, Liver King & Co, das war mal riesig. Aber mittlerweile kommen auch 15-jährige Kids drauf, dass das ein Scam ist. Dass der Typ mit dem zugeklebten Mund, der um drei Uhr aufsteht, einfach eine Lachnummer ist. Viele von diesen einstigen “Ikonen“ lösen sich gerade selbst auf. Das zeigt mir, Medienkompetenz ist möglich.

Glaubst du, klassische Medien wie Fernsehen oder Zeitungen haben noch Zukunft?

Das Fernsehen lebt aktuell nur von zwei Dingen: Nachrichten und Live-Sport. Sobald beides zu Streaming wandert, wird es fürs lineare Fernsehen eng. Es kann sich dann nur noch durch staatliche Subventionen halten, wie durch den ORF-Beitrag, den ich übrigens ablehne. Ministerien überlegen ja schon, wie Medienförderung neu aufgesetzt werden soll. Und klar: Wenn der wichtigste Journalismus heute digital passiert, sollte auch die Förderung dorthin fließen. Fernsehen wird’s weiter geben, aber mit deutlich weniger Relevanz.

Wie finanzierst du deine Arbeit aktuell? Kannst du schon von TikTok und Co. leben?

Noch nicht ganz. Ich habe kaum Kosten, außer Strom und vielleicht alle paar Jahre ein neues Handy oder Laptop. Insofern trägt es sich technisch schon selbst. Aber leben kann ich davon (noch) nicht. Im Moment finanziert sich das quer über meinen Job als Sportkommentator. Meine Hoffnung ist, dass es in Zukunft über die Community geht, über freiwillige Unterstützung. Wenn von meinen rund 250.000 Follower auf allen Plattformen nur 1.000 Menschen monatlich fünf bis zehn Euro geben, dann wäre das machbar. Ich glaube, wenn ich jetzt damit anfange, habe ich’s in sechs Monaten.

Machst du aktuell auch Werbung?

Ganz selten. Es gibt viele Angebote, aber sehr viel davon ist dubios. Wichtig ist mir, die redaktionelle Unabhängigkeit darf nie angetastet werden. Sobald jemand versucht, mir inhaltlich reinzureden, was ich sagen oder nicht sagen soll, bin ich raus. Aber grundsätzlich werde ich irgendwann Werbung machen müssen. Wie jedes Medium.

Was wünschst du dir für die Zukunft – in deinem journalistischen Schaffen?

Anerkennung. So ehrlich muss ich sein. Und zwar nicht nur vom Publikum, das ist bereits großartig und wichtig, sondern auch aus der Szene. Wenn man sieht, wie in irgendwelchen “30 unter 30”-Listen Journalisten ausgezeichnet werden, bei denen ich mich frage, ob sie überhaupt eine vergleichbare Öffentlichkeit haben – und ich bin nie dabei – dann tut das schon weh. Da frage ich mich, ob ich wirklich so unsichtbar bin oder ob ich einfach nicht dazugehöre. Vielleicht, weil ich nicht Teil des Organismus bin oder weil ich keine Fürsprecher habe. Ich hätte gerne die Möglichkeit, Dinge zu machen, die über mein Wohnzimmer hinausgehen. Große Reportagen, echte Auslandsgeschichten. Nach Afghanistan zum Beispiel. Oder eine Doku in Rojava. Dafür braucht es Geld oder Einfluss – beides habe ich noch nicht genug.

Gibt es Vorbilder, die dich inspirieren oder geprägt haben?

Das wäre schön, aber ehrlich gesagt: nein. Ich bin ein zynischer Mensch, merke ich gerade. Früher vielleicht, da fand ich Joe Rogan mal interessant, so vor fünf Jahren. Heute nicht mehr. Ich habe mir das abgewöhnt. Vielleicht auch, weil ich gelernt habe, dass die meisten Bilder, die man sich von Menschen macht, mit der Realität wenig zu tun haben.

Was müsste eine Person ausmachen, um für dich inspirierend zu sein?

Ehrlichkeit. Selbstreflexion. Professionalität. Belesenheit. Mut. Ich bewundere Menschen, die Dinge tun, die sich andere nicht trauen. Weil ich selbst weiß: Ich bin nicht der talentierteste Sprecher, nicht der beste Journalist, auch nicht der sympathischste Kerl. Aber ich versuche, mutig zu sein. Risiken einzugehen. Mich aus meiner Komfortzone zu bewegen, wie bei Reisen in gefährliche Länder. Ich glaube, das ist mein Weg: Ich tue Dinge, die andere sich nicht trauen würden.

Was würdest du jungen Menschen raten, die heute in den Journalismus einsteigen wollen?

Nur Journalist zu sein, im Sinne einer klassischen Ausbildung, reicht nicht mehr. Es ist selten lukrativ, man macht’s nicht wegen des Geldes. Man braucht einen inneren Antrieb, Integrität, Überzeugung, Neugier. Und ganz wichtig, eine Nische. Ich glaube, die Zeit des 08/15-Journalisten ist vorbei. Also dieser Typ, der heute Sport macht, morgen Innenpolitik, übermorgen irgendwas mit Klima. Was es braucht, sind Leute mit Spezialwissen: Kunst, Außenpolitik, Programmiersprachen,  irgendwas, das sie von der Masse abhebt.


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