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Finanzielle Zensur: Steam löscht sexuell explizite Spiele

Inzest adé. Steam, die weltgrößte Verkaufsplattform für Computerspiele, entfernte hunderte Spiele mit sexuellen Inhalten aus seinem Sortiment. Besonders Titel, die sexuelle Gewalt oder inzestuösen Geschlechtsverkehr thematisierten, standen auf der Abschussliste. Ein Sieg für Sitte und Moral? Keineswegs.
Robert Gafgo  •  23. Juli 2025 Redakteur    Sterne  718
Stand 2025 bot der Steam Store über 100.000 Artikel an. Darunter Spiele, Soundtracks und Spielerweiterungen. (Foto: Shutterstock)
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Lange galt der US-Softwareentwickler Valve als überaus tolerant. Auf der hauseigenen Verkaufsplattform Steam konnten Videospielentwickler ihre Titel ohne große Hürden zum Verkauf anbieten. Erlaubt war prinzipiell alles, was nicht illegal oder eine offensichtliche Provokation war. Solche künstlerische Freiheit bot vielen kleinen Entwicklerstudios eine Nische, deren Spiele teils an Pornographie grenzten. In Dating-Simulatoren, Puzzle- und Rollenspielen brechen manche Titel auch sexuelle Tabus. Etwa durch die Darstellung von sexueller Gewalt oder Inzest.

Am 15. Juli fand diese Toleranz ihr Ende. Steam entfernte hunderte Spiele mit sexualisierter Thematik aus seinem Sortiment. Die Plattform führte eine neue Klausel ein, die „Inhalte, die möglicherweise gegen die Regeln und Standards von Steams Zahlungsabwicklern, zugehörigen Kartennetzwerken, Banken oder Internetnetzwerkanbietern verstoßen“, verbietet. Im Besonderen bezieht sich das vage formulierte Verbot auf Inhalte, „die nur für Erwachsene bestimmt sind.“

Mastercard und Visa als moralische Instanzen

Dienste wie Mastercard, PayPal, Paysafe oder Visa gehören zu den erwähnten Zahlungsabwicklern. Ihre Dienste ermöglichen es Nutzern, Spiele auf Steam zu kaufen. Von ihnen waren es insbesondere Mastercard und Visa, die auf Valve Druck ausübten.

Gegenüber dem britischen Magazin PC Gamer bestätigte Valve, dass die Bezahldienste damit drohten, sich von Steam zurückzuziehen, sollten die verbotenen Spiele weiterhin erhältlich sein. Ein Rückzug mehrerer Zahlungsdienstleister würde den Verkauf erschweren und hätte wirtschaftliche Einbußen zur Folge. Valve gab ohne zu zögern nach. Viele Spielerinnen und Spieler fürchten seither, die neue Klausel könnte Grundlage für weitere und noch restriktivere Zensurmaßnahmen sein.

Kampf gegen die Pornographisierung

Der Impuls für das Verbot kam aber nicht von Mastercard oder Visa, sondern aus Australien. Die australische NGO Collective Shout machte die Konzerne auf die Existenz der Spiele aufmerksam und forderte sie zum Handeln auf. Das Kollektiv gründete sich 2009, laut eigener Aussage als feministische Graswurzelbewegung. Ziel sei ein Kreuzzug gegen die „Pornographisierung der Kultur“ sowie der Kampf gegen sexuelle Ausbeutung von Kindern und Frauen.

Die Absichten mögen zunächst nobel und manche der Sorgen sogar berechtigt wirken. Doch arteten viele von Shouts Kampagnen in kulturellem Fundamentalismus und Anspruch auf absolute moralische Deutungshoheit aus. Etwa als die Gruppe gegen die Veröffentlichung des Spiels Detroit: Become Human lobbyierte. Das Spiel setzte sich im Rahmen seiner Handlung kritisch mit Kindesmissbrauch auseinander, verherrlichte diesen aber nicht. Gleichermaßen versuchte das Kollektiv, teils mit Erfolg, den Verkauf des Action-Rollenspiels Grand Theft Auto V in Australien zu verbieten.

Die Aktivistinnen mögen einen zweifelhaften Zugang zu künstlerischer Ausdrucksfreiheit haben, doch stellen sie nicht das eigentliche Problem dar. Shout versteht sich lediglich darin, die richtigen Hebel zu bedienen. Der wahre Knackpunkt liegt weitaus tiefer.

Normalisierung finanzieller Zensur

Gefährlicher ist die schleichende Normalisierung finanzieller Zensur. Fälle wie dieser zeigen, wie Mastercard und Visa zu moralischen Autoritäten durch die Hintertür werden, kritisierte beispielsweise der Nutzer NoahFuel_Gaming auf dem Nachrichtendienst Bluesky.

Allein ihre Marktdominanz ermächtigt sie zur Zensurbehörde. Wie sie entscheiden, hängt nicht von moralischen Standards, sondern von Geschäftsinteressen ab. Der Schutz des eigenen Images ist der eigentliche Motivator. Interessengruppen wie Shout nutzen das gezielt für ihre Zwecke.

Dementsprechend befürchten viele Spielerinnen und Spieler weitere Zensurmaßnahmen und tiefe Beschneidungen künstlerischer Freiheit. Zukünftig könnten alle Inhalte, die Zahlungsdienstleistern nicht konform sind, der digitalen Bücherverbrennung zum Opfer fallen. Was heute mit dem Verbot vermeintlicher Obszönitäten beginnt, kann schnell zur Zensur von Minderheiten, Andersdenkenden und gesellschaftlichen Abweichlern führen.

Die Sorge ist begründet. Wiederholt nutzten Bezahlservices ihre Macht zur Zensur. Prominentestes Beispiel ist die Zahlungsblockade der Bank of America, Mastercard, PayPal und Visa aus dem Jahr 2011 gegen die Enthüllungsplattform WikiLeaks. Absicht war es, die spendenfinanzierte Plattform finanziell auszuhungern. Aus Vergeltung für die Veröffentlichung geheimer US-Dokumente.

Aufschrei innerhalb der Filterblase

Steam ist mit mehr als einer Milliarde Konten und rund 132 Millionen monatlichen aktiven Usern die weltgrößte Verkaufsplattform für Videospiele. Dennoch war das Medienecho außerhalb der Gaming Community und der Fachpresse überraschend gering. Dabei ist der Fall exemplarisch für die indirekte Macht, die einige wenige Konzerne auf den Konsum und damit auf das Denken von Millionen haben.

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