Mit flinken Händen nimmt eine Mitarbeiterin eine Tomatenrispe nach der anderen aus den Kisten. Im Hintergrund schallt das Radio über die Verpackungsmaschinen hinweg. Jede Frucht mustert sie, denn nur makellose Tomaten dürfen weiter. Links von ihr schnurrt das Förderband. Die Cherrytomaten landen in einem länglichen Karton auf der Waage und rollen von dort weiter zur nächsten Station. Mit langjähriger Erfahrung und moderner Technik haben die Obst- und Gemüsekonzerne gemeinsam mit den Landwirtschaftsbetrieben und dem Handel eine Logistikkette entwickelt, die im wahrsten Sinne des Wortes reibungslos funktioniert. Schnell und damit frisch sowie unbeschadet gelangen die beliebten Früchte so in die Salate, Sugos und Aufläufe der Kundschaft. Wie genau funktioniert das?
Ein Mitarbeiter des steirischen Obst- und Gemüseproduzenten Frutura steht auf einer Leiter in einem Glashaus und dreht die Tomatenpflanzen spiralförmig an einem Seil hinauf zur Decke. Das spart Platz. Einige Früchte sind schon rot und fast erntereif, während andere noch grün sind.
Je nach Produktionsweise wachsen die Pflanzen entweder im sogenannten Mutterboden, wenn es Bio-Tomaten sind, oder beim konventionellen Anbau in eigens angefertigten Päckchen, die mit Kokosfasern gefüllt sind. Optisch erinnern diese Päckchen an die Plastiksäcke mit Blumenerde aus dem Baumarkt. Die Fasern sind von wirtschaftlichem Vorteil. Sie können Wasser speichern, sorgen für eine gute Belüftung und eine robuste Wurzelentwicklung.
Bei der Energie für die Glashäuser geht Frutura teilweise neue Wege und nutzt im steirischen Bad Blumau die Wärme des Thermalwassers, die es sich dort mit dem Rogner Bad Blumau, bekannt als Hundertwasser-Therme, teilt. Das geht ganzjährig, ist energieeffizient und nachhaltig.
„Von der Blüte bis zur Ernte der Tomaten dauert es rund sieben bis neun Wochen“, sagt Christoph Schieder, Betriebsleiter der Frutura Thermal Gemüsewelt. Frutura ist einer der größten Gemüseproduzenten Österreichs.
Während der Anbauphase stellen Schädlinge die größte Herausforderung dar. Einige Betriebe setzen auf Pflanzenschutzmittel, andere auf Nützlinge wie Schlupfwespen oder Marienkäfer, die natürlichen Feinde der Schädlinge. Unter Stress, etwa bei Trockenheit oder Schädlingsbefall, senden Tomatenpflanzen übrigens Ultraschall-Laute aus, eine Art „Schrei“, den Forscher mit speziellen Mikrofonen nachgewiesen haben.
Neben den Schädlingen ist die Witterung eine Herausforderung. Das Geheimnis für besonders schmackhafte Tomaten ist ausreichend Sonne und nicht zu viel Regen, sonst sind sie am Ende wässrig. Hier sind Gewächshäuser vorteilhaft, da sie kontrolliertes Gießen ermöglichen. Darüber hinaus kontrollieren externe Stellen die Früchte stichprobenartig und messen, ob die erlaubten Grenzwerte der Pflanzenschutzmittel eingehalten werden. „In vielen Fällen kürzen wir die Rispen, so werden sie gleichzeitig reif“, erklärt Schieder. Ein Vorteil für den späteren Verkauf. So ist keine Tomate in der Verpackung noch grün oder bereits überreif.
Die Tomaten, die am oberen, dicken Ende der Rispe wachsen, werden zuerst reif und schmecken daher besser. Außerdem schmeckt eine Wintertomate fast gleich gut wie eine Sommertomate, weil sie durch Substrate auch in den kalten Monaten alle notwendigen Nährstoffe erhält. Allerdings scheint die Sonne im Sommer öfter und stärker. „Das stresst die Pflanze, ihre Früchte werden kleiner und enthalten gleichzeitig mehr Zucker“, erklärt Schieder. „Dadurch schmecken sie süßer und fruchtiger. Der Geschmacksunterschied ist aber nur minimal.“
Wie sich die Süße maximieren lässt, wissen am besten die Sizilianer. Am Ätna wachsen kleine, leuchtend rote Rispentomaten, die von der intensiven Sonne und den mineralischen Vulkanböden besonders süß und aromatisch werden und deshalb bei Gourmets Kultstatus haben. Die Sizilianer binden die Rispen traditionell zu Büscheln und hängen sie an Balkonen oder Terrassen auf. Durch die dichte Schale und die trockene Luft halten sie so oft mehrere Monate, ohne zu faulen, und entwickeln dabei noch mehr Aroma.
Moderne Tomatensorten wurden über Jahre so gezüchtet, dass sie heute ein verändertes Reifeverhalten zeigen. Sie färben früher aus, bleiben länger fest und behalten ihre optische und geschmackliche Qualität länger bei. Diese Entwicklung ist auf züchterische Erfolge zurückzuführen und auf ein besseres, wenn auch noch nicht vollständiges, Verständnis der komplexen Prozesse während der Fruchtreifung. Daher halten Tomaten heute länger als noch vor 20 Jahren.
Botanisch zählen Tomaten zu den Beeren. Sie entstehen aus einem einzigen Fruchtknoten, enthalten viele Samen und gehören damit zu den fleischigen Schließfrüchten, wie auch Weintrauben oder Bananen. Ihre botanische Vielfalt ist erstaunlich. In Südamerika gibt es wilde Tomatenarten, deren Früchte kaum größer als Erbsen sind. Sie gelten als extrem salz- und dürretolerant und könnten künftig dabei helfen, robuste Sorten für den Klimawandel zu züchten. Gleichzeitig zeigen Züchtungen auch, wie sehr sich Tomaten in ihrer Größe unterscheiden können. Die schwerste jemals gewogene Tomate wog unglaubliche 5,4 Kilogramm, ein starker Kontrast zur erbsengroßen Wildform.
Wenn die Tomaten reif sind, schneidet ein Mitarbeiter die gesamte Rispe ab und legt sie vorsichtig in Steigen. Die vollen Steigen stellen Mitarbeitende zur Datenerfassung und zwecks Rückverfolgbarkeit auf ein Förderband. Dort erfasst eine Maschine unter anderem die Sorte, die Menge und das Erntedatum. Erst danach geht es auf Paletten zur Verpackungseinheit an einen anderen Standort.
Per Hand in Papier oder Plastik
In der Verpackungseinrichtung gehen Mensch und Maschine Hand in Hand. Mitarbeitende nehmen die einzelnen Rispen aus den vollen Steigen und legen sie in die entsprechende Verpackung aus Karton oder Plastik. Dabei achten sie auf das richtige Gewicht pro Packung. Die vollen Tassen stellen sie auf ein Förderband und eine Maschine überzieht sie mit Folie oder einer Papiermanschette, auf der Marke und Produktinfos angegeben sind.
Anders als Erdbeeren sind Tomaten robuster, als sie wirken, daher braucht es keine zusätzlichen Schutzmaßnahmen. Anschließend schlichten Mitarbeitende die fertig verpackten Tomaten in Kisten. Teils KI-gestützte Roboter kommissionieren einen Teil der Produkte automatisch und sammeln sie in einem temperaturgeregelten Lager. Tomaten mögen es nicht zu kalt, unter 12 Grad können sie an Geschmack verlieren und schneller verfaulen. Eine Lagerung im Kühlschrank ist daher schlecht. Auch zu warme Temperaturen von mehr als 20 Grad sind schädlich.
Im privaten Haushalt halten sich Supermarkt-Tomaten unter optimalen Bedingungen in der Regel bis zu zwei Wochen. Entscheidend sind die Lagerbedingungen, das Reifestadium bei der Ernte sowie die Sorte. Tomaten aus Gewächshausproduktion halten länger, während empfindlichere Sorten wie Fleischtomaten rascher verderben. Längeres Lagern führt immer zu einem Qualitätsverlust, ideal ist der Verzehr zur Genussreife.
Nicht jede Tomate schafft es ins Supermarktregal. Etwa zwei bis vier Prozent werden, beispielsweise bei Frutura, aufgrund von Mängeln aussortiert. Dabei handelt es sich meist nicht um komplette Ausfälle. Der Großteil der aussortierten Ware ist weiterhin vermarktungsfähig und wird als sogenannte Klasse-2-Ware verkauft. Nur ein kleiner Teil, konkret die faulen oder schimmligen Früchte, ist tatsächlich unverwertbar. Sie werden dann zum Beispiel in Biogasanlagen weiterverwertet.
Meist noch am selben Tag transportieren LKWs die Ware vom Verpackungslager in ein Großhandelslager einer Supermarktkette. Dort prüft das Personal die Tomaten beim Wareneingang stichprobenartig auf Größe, Färbung und Zuckergehalt. Abhängig vom Produktionsprozess kann die Kontrolle aber auch schon am Anbauort erfolgen. Anschließend teilen Mitarbeitende die Kisten je nach Filialbestellung auf und verladen sie in LKWs.
Am nächsten Morgen kommt die Ware in den Supermarktfilialen an. Dort räumt das Verkaufspersonal die Produkte in Regale und Konsumenten nehmen sie mit. Pro Kopf essen die Menschen in Österreich rund 32 Kilo Tomaten im Jahr. Dabei war die Tomate nicht immer ein Alltagsgemüse. In Europa wurde sie lange Zeit nur als dekorative Zierpflanze angebaut, weil sie als giftig galt. Erst im 18. Jahrhundert wurde sie allmählich als Nahrungsmittel akzeptiert.
Insgesamt ist eine Tomate vom Schnitt bis zum Supermarktregal zwei Tage unterwegs. Wenn die Tomaten aus dem Ausland kommen, dauert es, aufgrund des längeren Transportweges, drei Tage.
Die Tomaten im Regal kommen zu einem Großteil, vor allem außerhalb der Saison, aus anderen Ländern wie Spanien, Italien oder den Niederlanden. Bei verarbeiteten Tomaten wird die Lieferkette intransparent. Bei Ketchup, Sugo und ähnlichen Produkten ist eine Herkunftskennzeichnung nicht verpflichtend. Die Tomaten darin stammen oft vom weltweit größten Tomatenproduzenten China.
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