Ein Raum. Zehn Frauen in hohen Schuhen. Die Lichter sind gedimmt, der Bass pulsiert, die Luft ist aufgeheizt. Absätze schlagen wie kleine Donnerschläge über das Parkett. Körper spannen sich, lösen sich, rollen durch die Musik. Bewegungen wechseln zwischen Kraft und Anmut. Posen erinnern an altbekannte Bilder von Verführung, Versuchung, Verfügbarkeit. Doch dieser Raum erzählt eine andere Geschichte.
Sobald Hüften schwingen oder sich eine Welle durch den Oberkörper zieht, stehtein Verdacht im Raum. Zuschauer sehen einen Auftritt, der auf die Bestätigung eines Mannes zu warten scheint. Dieser Reflex offenbart wenig über die Tänzerinnen selbst. Vielmehr enthüllen die Zuschauer damit ihre eigenen Vorstellungen.
Sinnlichkeit gilt noch immer als etwas, das geteilt gehört, das Bezug hat, das Anspruch rechtfertigt. Ein Blick, eine Bewegung, zugleich entsteht der Eindruck, es müsse ein Signal sein. Doch warum sollte jede Bewegung sofort Fremden gehören? Diese Vorstellung hat tiefe Wurzeln im patriarchalen Blick auf weibliche Körper.
Feminine Solotanzrichtungen tauchen nicht auf, um die patriarchalen Vorstellungen fortzuführen. Hier entsteht Sinnlichkeit als Ausdruck des Inneren. Sie trägt nicht die Absicht, Verfügbarkeit zu signalisieren, sondern die Kraft, sich selbst zu spüren.
In einer Untersuchung, veröffentlicht in der Fachzeitschrift PLOS ONE, befragten Forscher mehrere hundert Social Dance Tänzer, warum sie tanzen. Social Dance umfasst Stile wie Salsa, Bachata oder Swing, im Zentrum steht die Gemeinschaft. Die Ergebnisse: Ganz oben rangieren bessere Stimmung, Gemeinschaftsgefühl und der Wunsch, die eigene Technik zu verbessern. Der Gedanke, dadurch attraktiver auf andere zu wirken, landete weit hinten.
Ähnliches zeigt eine Studie über Poledance. Die Perspektive verschiebt sich auf Körperfunktionalität, Kraft und das Erleben der eigenen Fähigkeiten. Die Gemeinschaft wird zur Quelle von Emanzipation, nicht zur Bühne für fremde Blicke. Ästhetik bleibt dabei Nebeneffekt, kein Ausgangspunkt.
Am Anfang steht oft der Spiegel. Jede Anfängerin prüft Haltung, Linien, Ausdruck. Der Blick sucht Bestätigung, noch herrscht Unsicherheit. Doch irgendwann verändert sich etwas. Studien beschreiben diesen Moment als Flow, ein Zustand, in dem die Außenwelt verstummt. Selbst-Objektivierung verschwindet, das Körperbild gewinnt an Kraft. Die Aufmerksamkeit wandert nach innen, der Rhythmus übernimmt. In diesem Moment existiert kein Publikum mehr. Kein fremdes Urteil, kein starrendes Augenpaar. Der Körper bewegt sich für sich selbst und nicht für andere.
Genau hier liegt der Kern des Konflikts. Jede Drehung, jede Pose erscheint für die Zuschauer wie ein Versprechen für mehr. Doch der Fehler liegt nicht im Tanz, sondern im Kopf der Betrachtenden. Eine Flamme brennt nicht zwangsläufig, um zu wärmen. Sie brennt, weil sie brennt.
Wer Sinnlichkeit in einem Studio oder auf einer Bühne sieht, begegnet keinem Code, den er dechiffrieren muss. Hier entfaltet sich Ausdruck, der keine Erlaubnis einholt und keine Bestätigung benötigt.
Sobald Sinnlichkeit nicht länger Fremden gehört, geraten alte Deutungssysteme ins Wanken. Pole-Communities sprechen von der Rückeroberung sexueller Ausdrucksformen. Bachata-Gemeinschaften experimentieren mit Rollentausch und pflegen eine aktive Zustimmungskultur. Hier erproben Tänzer, wie Freiheit Gestalt annimmt, wenn sie Sinnlichkeit nicht kontrollieren, sondern ausleben.
In solchen Räumen verliert die Logik an Gültigkeit, nach der weibliche KörperBesitzansprüche auslösen. Vielleicht erklärt das auch, warum Zusehende die Tänze so oft missverstehen oder abwerten. Freiheit irritiert.
Heels, Poledance, Social Dance, all diese Stile schaffen Räume, in denen Sinnlichkeit nicht länger Objekt bleibt, sondern zum Subjekt wird. Sie eröffnen ein Selbstverständnis, in dem Kraft, Eleganz und Hingebung keine Gegensätze darstellen.
Genau hier liegt die Einladung. Eine an die Gesellschaft. Den Blick auf die eigenen Deutungen zu richten. Wer immer noch glaubt, jede Bewegung richte sich an fremde Augen, sollte weniger auf die Tänzerinnen schauen und mehr auf die eigenen Vorstellungen.
Manchmal entsteht Attraktivität gerade dort, wo sie niemand sucht. Und vielleicht liegt die eigentliche Provokation dieser Tänze nicht in den Bewegungen selbst, sondern in der Freiheit, sie ganz ohne Adressat zu tanze
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