Mag das Fernsehen aus der Mode geraten sein, viele erinnern sich noch an die Werbespots zur Zeckenschutzimpfung. Aus sattgrünem Grass krabbelt eine überdimensionale schwarze Zecke, untermalt von bedrohlichen Rhythmen wie in Spielbergs Der Weiße Hai. Die Musik schwillt zum Crescendo an und plötzlich verbeißt sich der Blutsauger in den Beinchen eines Kleinkinds. Dann die dröhnende Stimme aus dem Off: „Die Gefahr lauert überall.“
So beschreibt Peter Hochegger in seinem am 20. September erschienenen Enthüllungsbuch Die Schattenrepublik die Kampagne, die die Zecke zum Schreckgespenst der Nation machte. Jährliche Impfaktionen sind hierzulande längst ein Ritual. Kaum eine Arztpraxis, in der zu Frühlingsbeginn kein Impfplakat hängt. Mit einer Impfrate von 85 Prozent ist Österreich Europameister. Zu Unrecht, sagt Hochegger. Die Pharmaindustrie habe die Angst vor der Zecke und des von ihr übertragenen FSME-Virus gezielt geschürt, um Gewinne zu maximieren. Er muss es wissen. In der Blütezeit seiner PR-Agentur war Hochegger gemeinsam mit seinem Bruder Paul federführend in der Dämonisierung der Zecke.
1973 entwickelte der Linzer Virologe Christian Kunz den ersten Impfstoff gegen FSME. 1976 begann die österreichische Immuno AG mit der Serienproduktion. Dank eigener und staatlicher Kampagnen waren Mitte der 1990er bereits sechzig Prozent der Bevölkerung geimpft. „Damit schien der Höhepunkt erreicht zu sein“, schreibt Hochegger. „Viel mehr Werbung konnte die Immuno nicht mehr schalten, mehr Abnehmer waren nicht zu finden. Was es brauchte, war eine neue Strategie. Da kamen wir ins Spiel.“
Der Wunsch des Pharmaunternehmens war eine landesweite Impfkampagne. Vom Säugling bis zur Großmutter sollte niemand ungeimpft bleiben. „Uns war klar, hier ging es um richtig großes Geld“, erinnert sich Hochegger. Schließlich hatte die Republik bereit gezeigt, mehrere Milliarden Schilling zur Impfkampagne im Sinne der Immuno AG beizusteuern. Und das, obwohl Immuno laut einer späteren parlamentarische Anfragen der Grünen für das staatliche Sponsoring seiner ersten Impfaktionen keine aussagekräftigen Studien über die Relevanz einer Massenimpfung vorlegen konnte.
Die PR-Strategie der Brüder Hochegger bestand aus zwei Punkten. Erstens sollte die Zecke zum Schreckgespenst werden. Zweitens sollte Immuno als führende Kompetenzstelle für Massenimpfungen gelten.
In den folgenden Jahren finanzierte Immuno zahlreiche Symposien und Informationsveranstaltungen. Wissenschaftler diskutierten für großzügige Honorare. Dem Unternehmen verschafften sie dadurch Glaubwürdigkeit.
Den Durchbruch brachte eine Idee von Hocheggers Bruder Paul. Um sich lukrativ verwertbare Glaubwürdigkeit zu verschaffen, wollten sie Impfgegner einbremsen, indem sie die potenziellen Nachteile einer Impfung selbst thematisierten. Sie richteten eine eigene Meldestelle für Impfnebenwirkungen ein, die Ärzte und Apotheker mit Daten und Statistiken zur FSME-Impfung und anderen Impfaktionen versorgten.
Angesiedelt war sie Im Gesundheitsministerium, was zugleich auch den guten Kontakt zu den Behörden sicherte. So entstand als nächstes die „ARGE Gesundheitsvorsorge“. Die Organisation konzentrierte sich insbesondere auf die Informationsvermittlung zur FSME-Impfung. Gesundheitsministerium, Selbsthilfegruppen, Ärzte- und Apothekerkammer saßen an einem Tisch und bedienten die Interessen der Immuno AG, die die ARGE wiederum finanzierte. Die Chefs waren begeistert. Die Arbeitsgemeinschaft war das perfekte Fundament, um die die Zecke in allen Schattierungen zum nationalen Feindbild zu machen.
Auffallend beim Werbematerial der ARGE ist der Hinweis „Mit freundlicher Unterstützung von Baxter“. Baxter International kaufte 1996 den Impfstoffhersteller Immuno auf. Die Impfsparte von Baxter wurde 2014 wiederum von Pfizer gekauft. (Foto: ARGE Gesundheitsvorsorge / martrix)
Fortan gab die ARGE mit der jährlichen Veröffentlichung der FSME-Statistik den Startschuss zur Impfsaison. Die ein bis zwei jährlichen Todesfälle kommunizierte sie medienwirksam und mit großem Bedauern. „Je mehr Tote und Halbtote die ARGE präsentieren konnte, desto mehr Impfampullen gingen über den Ladentisch“, schreibt Hochegger in seinem Buch. „Bei einer Spritze um durchschnittlich zwanzig Euro und vorsichtig geschätzten zwei Millionen Dosen pro Jahr fielen für die Beteiligten keine Kuchenbrösel ab, sondern schöne große Tortenstücke.“
Die Angst vor Zecken ist allerdings nicht völlig unbegründet. Bis auf tausend Höhenmeter gilt ganz Österreich als Verbreitungsgebiet der Frühsommer-Meningoenzephalitis, kurz FSME. Doch nur ein bis drei Prozent der Zecken tragen das Virus. Von 10.000 Stichen sind zwischen 100 und 300 infektiös. Zwei Drittel der Infizierten bleiben ohne Symptome, das übrige Drittel kann schwer erkranken.
Entzündungen von Gehirn und Rückenmark können auftreten, mit neurologischen Störungen, Lähmungen oder Behinderungen als Langzeitschäden. Ein bis zwei Prozent der schweren Verläufe enden tödlich. Das Risiko ist also eher gering, die möglichen Folgen machen die Impfung dennoch attraktiv, und die Fallzahlen zeigen ihre Wirksamkeit. Rangierten die FSME-Fälle vor den Impfaktionen zwischen 300 und 700 jährlich, pendelten die Zahlen in den vergangenen vierzig Jahren zwischen 41 und 216 pro Jahr. 1975 verstarben von 545 registrierten Infektionsfällen sechs Patienten. 2024 kamen auf 162 Infektionen null Todesopfer.
Laut Hochegger lassen sich in Österreich, dem Land der FSME-Impfung, an keiner Stelle unabhängige Studien zur wahren Bedrohungslage der Zecke finden. (Foto: Erik Karits / Pexels.com)
Trotzdem stellt sich die Frage, ob die österreichischen Massenimpfungen je im Verhältnis zur eigentlichen Bedrohung standen.
Michael Kunze, Sozialmediziner der MedUni Wien und FSME-Forscher, bestätigt den ökonomischen Erfolg der Impfkampagnen. „Die FSME ist zwar nicht das größte medizinische Problem dieses Landes, Europas oder der Welt. Entscheidend ist, dass wir einen Impfstoff haben, der zu 97 bis 99 Prozent wirkt. Wieso sollten wir ihn nicht anwenden?“
Die Grippeimpfung sei medizinischer zwar wichtiger, so Kunze weiter, „aber es gibt mehrere Hersteller der Präparate und die können sich nicht auf ein gemeinsames Vorgehen verständigen.“ Professionelles Marketing sei jedenfalls kein Verbrechen. Heute wisse jedes Schulkind, die Zecke, das ist etwas Unangenehmes.
Zwischen der edition a, die Peter Hocheggers Buch publizierte, und campus a besteht ein Naheverhältnis.
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