Zu sehen ist eine karge, verwahrloste Wüstenlandschaft. Trocken, staubig, verödet. Zur Verfügung stehen Filteranlagen und Giftstoffwäscher, um den verseuchten Boden zu reinigen, ihn wieder fruchtbar zu machen. Gamer bauen Wassersysteme und schaffe dadurch neue Biome: Wälder, Feuchtgebiete, Grasland. Langsam kommen die Tiere zurück, dankbar für ihre zurückerhaltenen Lebensräume. Aber Achtung! Die Gamer müssen sparsam und effizient mit ihren Ressourcen umgehen, da jede Handlung „Ökopunkte“ kostet.
So in etwa sieht eine Phase des Videospiels „Terra Nil“ aus. Ein Rollen-Videospiel, bei dem es darum geht, natürliche Räume zu schaffen, anstatt zu zerstören.
Videospiele sollen beim Umweltschutz helfen? Auf den ersten Blick ist kein Zusammenhang zu erkennen. Die Meteorologin und Professorin für Informationsdienstleistungen an der TU Köln Claudia Frick ist leidenschaftliche Gamerin und erklärt: „Alles hängt mit der Klimakrise zusammen. Gaming ist dabei keine Ausnahme. Die Gaming-Industrie verbraucht Ressourcen, hat also einen Einfluss. Aber gleichzeitig kann sie auch dazu beitragen, Bewusstsein zu schaffen.“
Forscher wissen: Interaktive Videospiele helfen dabei, Wissen zu vermitteln und komplizierte Strukturen zu verstehen. Games-Hersteller haben sich das zu eigen gemacht und vermitteln Umwelt-Bewusstsein durch Videospiele. Durch spielerisches Lernen sollen die Spieler ihr Wissen aus den virtuellen Games im realen Alltag einsetzen können.
Beim Spielen steigt die funktionelle Konnektivität zwischen Frontal- und Parietalhirn, also den Bereichen, die für Planung, Wahrnehmung und Entscheidungsfindung zuständig sind. Laut Forschung setzt jeder achte Gamer Wissen aus Spielen auch im echten Leben um. Dieses Prinzip nutzen sogenannte „Climate Games“, um nachhaltiges Denken und Handeln spielerisch in den Alltag zu übertragen.
Es gibt Hersteller, die gezielt auf Umweltschutz-Games setzen. Ein seit 2023 bekanntes Beispiel ist „Terra Nil“ des südafrikanischen Studios Free Lives. Statt Betonstädte zu errichten, wie es in vielen anderen Games Aufgabe ist, sollen die Spieler in diesem Spiel eine zerstörte Erde erneuern. Mit Technologien wie Toxinfiltern oder Bienenzucht verwandeln sie altes, abgestorbenes Land in fruchtbare Landschaften und reinigen verschmutzte Ozeane, bis sie am Ende alles recycelt haben und den Planeten „sauber“ zurücklassen.
Terra Nil steht stellvertretend für ein wachsendes Genre, das sich unter dem Begriff Climate Games einen Namen gemacht hat. Weitere Games sind „Imagine Earth“, bei dem die Spieler möglichst gut wirtschaften und die fossilen und nachwachsenden Ressourcen gekonnt einsetzen müssen. Das Ziel soll sein, das Gleichgewicht zwischen und Wachstum und Umweltschutz einzuhalten, da sonst ein fortschreitender Klimawandel, schlimmer noch, der Ökozid einsetzt.
Ein Projekt des Computational Empowerment Labs am Zentrum für Lehrende der Universität Wien ist „Alba: A Wildlife Adventure“. In dem Videospiel geht es um ein Mädchen namens Alba, das die Beziehung zwischen Menschen und Natur wiederbeleben soll. So wird neben dem Anspruch, das Bewusstsein für die Umwelt zu schärfen, eine emotionale Komponente aufgebaut.
Während sich einige Hersteller auf einen Bildungsauftrag spezialisiert haben, widmen sich andere der emotionalen Seite der Klimakrise: Laut einer kanadischen Studie geben 80 Prozent der 16- bis 25-Jährigen an, die Angst vor dem Klimawandel würde ihre psychische Gesundheit beeinträchtigen. Auch der Lancet Countown Report warnt vor den stärker werdenden mentalen Problemen und Ängsten infolge des Klimawandels.
An dieser Angst bedienen sich Hersteller und fassen emotionale Aspekte auf: In dem Spiel „Endling – Extinction is Forever“ nimmt der Spieler die Rolle einer Fuchsmutter ein, die als letzter Fuchs der Erde den Auswirkungen der Umweltzerstörungen ausgesetzt ist und versucht, ihre Jungen zu füttern und zu schützen.
Da für viele Konsumenten der westlichen Welt der Klimawandel nicht direkt sichtbar ist, versetzen interaktive Rollenspiele den Menschen direkt in die Person der Leidtragenden. Hersteller erhoffen sich also eine wachsende Empathie der Konsumenten anhand ihrer Umwelt-Videogames.
Wie stark die Gaming-Branche selbst auf Nachhaltigkeit setzt, zeigt die UN-Initiative „Playing for the Planet“. Sie vereint große Studios wie Ubisoft, Niantic oder Sony und organisiert jährlich den „Green Game Jam“, bei dem Entwickler Umweltaktionen in bereits bestehende Spiele integrieren.
So veranstaltete Ubisoft im Extremsportspiel Riders Republic den ersten digitalen Klimamarsch und simulierte Waldbrände, um deren zerstörerische Wirkung erlebbar zu machen. Niantics „Pokémon GO“ koppelte Baumpflanzaktionen an Spielerbewegungen. Für jede fünf Kilometer, die gespielt wurden, wurde ein Baum gesetzt. Am Ende zählten die Betreiber insgesamt 600.000 Bäume. Auch „Horizon: Forbidden West“ pflanzte Bäume für freigeschaltete Erfolge, während das Mobile-Game „Hay Day“ an nachhaltige Landwirtschaftsprojekte spendete.
Das Projekt „Games for Good“ von Playing for the Planet rief die amerikanischen Unternehmerin Deborah Mensah-Bonsu ins Leben: „Das Potenzial der Spiele liegt darin, dass die Spieler aktiv mitgestalten. In anderen Medien konsumieren Verbraucher die Inhalte passiv. In Games sind sie Teil der Geschichte, treffen Entscheidungen und beeinflussen das Ergebnis.“ Die Spieler erleben folglich ein direkt sichtbares und positives Ergebnis ihres Handelns, wie es häufig in der realen Welt nicht der Fall ist.
Laut einer Umfrage unter 390.000 Spielern, durchgeführt von Playing for the Planet, glauben 78,6 Prozent, dass Spiele ihnen helfen können, mehr über Umwelt zu lernen. Mehr als 60 Prozent wären bereit, für klimabezogene Inhalte zu zahlen, wenn sie eine gute Sache unterstützen.
Trotz gutgemeinter und grüner Ideologie bleibt die Gaming-Industrie nicht unbedingt unschuldig: 2020 stieß sie laut Schätzungen rund 15 Millionen Tonnen CO₂ aus. Besonders energieintensiv sind Serverfarmen, Hardwareproduktion und strombetriebene Konsolen. Die Gaming-Branche ist mittlerweile größer als die Film- und Musikindustrie zusammen und die weltweit steigende Beliebtheit von Videospielen erhöht gleichermaßen die CO2-Emissionen und belastet so die Umwelt.
Sony meldete zwischen 2018 und 2021 einen Anstieg des Energieverbrauchs um 3,3 Prozent, während der CO₂-Ausstoß um 19 Prozent stieg, insbesondere durch die PlayStation 5, die 2020 auf den Markt kam. Laut Sonys Nachhaltigkeitsbericht von 2021 verursachten die Produkte des Konzerns über ihren Lebenszyklus hinweg 17,1 Millionen Tonnen CO₂.
Die weltweit größte Gaming-Messe Gamescom zählte heuer zwar 335.000 Besucher, doch das Thema Nachhaltigkeit wurde nicht diskutiert. Dabei erhöht der steigende Rechenbedarf in den Bereichen Spieleproduktion, Bereitstellung und Datenspeicherung den Stromverbrauch. PC-Spieler verbrauchten allein im Jahr 2015 weltweit schätzungsweise 75 Mrd. Kilowattstunden Strom. Dazu kommt der Energiebedarf für Konsolen und Smartphone-Spiele.
Dass das Thema Nachhaltigkeit auch in der immer beliebter werdenden Gaming-Branche nicht vergessen werden darf, betont der Geschäftsführer und Mitgründer von dem Green-IT-Unternehmen Cloud&Heat Technologies Nicolas Röhrs: „Unsere liebsten Hobbys müssen wir umweltschonender gestalten. Unsere Firma bietet ganzheitliche Lösungen, die eine sichere Verarbeitung von Daten in der Cloud ermöglichen und gleichzeitig nachhaltig konzeptioniert sind. Eine innovative Heißwasser-Direktkühlung etwa ermöglicht eine Nachnutzung der Abwärme von Rechenzentren zum Heizen von Gebäuden.“
In Climate Games erleben die Spieler die positiven Folgen ihres Handelns unmittelbar. Das ist der entscheidende Unterschied zur Realität: Hier bleiben ökologische Zusammenhänge oft unsichtbar, die Wirkung individueller Entscheidungen kaum spürbar. Folge ist Demotivation und Frustration der engagierten Klimaschützer, deren Einsatz ungesehen bleibt.
Tatsächlich haben viele große Unternehmen der Branche eigene Klimaziele formuliert: Microsoft und Ubisoftwollen bis 2030 klimaneutral sein, Sony bis 2040. Andere, wie Nintendo oder Take-Two, äußern sich bislang gar nicht zu konkreten Plänen. „Bewusstsein ist gut, aber allein reicht es leider nicht“, sagt auch Claudia Frick. „Wir müssen Spiele Ressourcen-schonender und effizienter gestalten, statt immer nur größer und bunter.“
Vielleicht steckt hier das eigentliche Potenzial: Während in der realen Welt Wetterextreme herrschen, Territorien verschwinden und Gletscher schmelzen, können virtuelle Welten einen kleinen, aber wirksamen Anstoß geben.
Verfasse auch du einen Beitrag auf campus a.