China gilt inzwischen als Vorreiter beim Klimaschutz. In Peking fährt jedes zweite Auto elektrisch und die Elektro-Luxus-SUVs des Herstellers BYD prägen das Straßenbild. BYD ist mittlerweile der viertgrößte Autohersteller der Welt und liegt damit vor Tesla.
Diese Dynamik zeigt sich auch im Energiesektor. China hat von Jänner bis Juni Solarkraftwerke mit mehr als 212 Gigawatt ans Netz gebracht, wie Zahlen des Analysehauses Wood Mackenzie zeigen. Diese Leistung würde reichen, um in Deutschland 85 Millionen Zwei-Personen-Haushalte zu versorgen. Damit hat China in einem halben Jahr doppelt so viel Solarkapazität installiert wie Deutschland in den vergangenen 25 Jahren.
Der Ausbau bleibt nicht bei einzelnen Rekorden stehen. Der Anteil an erneuerbarer Energiequellen wächst mittlerweile exponentiell. Das Land produziert mehr als das Zwanzigfache früherer Prognosen und kontrolliert über 80 Prozent der weltweiten Lieferkette für Solartechnik. Die Internationale Energieagentur erwartet, China werde bis 2030 fast 60 Prozent der global neu installierten erneuerbaren Leistung bereitstellen. Während viele Staaten noch an Masterplänen arbeiten, zieht China bereits vorbei und öffnet damit die Tür zu einer unbequemen Frage: Warum gelingt es ausgerechnet dort?
Chinas Tempo hat viele Gründe. Allen voran nutzt das Land seinen technologischen Vorsprung bei der Energiewende als lukrativen Marktvorteil.
Gerhard Herndl vom Department für Funktionelle und Evolutionäre Ökologie erklärt im Gespräch mit campus a, dass Chinas Wirtschaftsmodell auf Exportstärke und technologischer Entwicklung beruht. „Wenn etwas schnell entwickelt wird, kann China es sofort am Weltmarkt verkaufen“, sagt Herndl. Diese Priorität beschleunigt Innovationen.
Die Solarindustrie zeigt das so deutlich wie kaum ein anderer Sektor. China dominiert den Markt, weil die Produktion günstiger ist und Solarstrom inzwischen weniger kostet als Energie aus Kohlekraftwerken. Hinzu kommt das politische System, das Entscheidungen ohne langwierige Beteiligungsverfahren schnell durchsetzen kann. Die Grundlage dieser Dynamik liegt jedoch nicht allein in der politischen Struktur, sondern in frühen Investitionen und einer Wirtschaft, die auf Skalierung ausgelegt ist.
Auch die Autoindustrie folgt laut Herndl diesem Muster. Europa und die USA hätten die technologische Entwicklung verschlafen, während China früh auf Elektromobilität gesetzt hat. Das Ergebnis zeigt: China exportiert Technologien, Europa kauft sie.
Das legt den Eindruck nahe, dass Diktaturen, weil sie effizienter entscheiden können, einmal erkannte Probleme mit starker Hand lösen können. Doch trifft diese Annahme zu?
Demokratien geraten bei der Klimapolitik an mehrere Systemgrenzen. Sie müssen Mehrheiten überzeugen, Kompromisse aushandeln und Interessen ausbalancieren. Das braucht Zeit. Zeit, die im Klimaschutz oft fehlt.
„Politiker orientieren sich an der nächsten Wahl und nicht an den nächsten Jahrzehnten“, sagt Herndl. Klimaneutralität bis 2040 sei leicht zu versprechen, weil die entscheidenden Maßnahmen weit hinter den Amtszeiten der aktuellen Regierungen liegen. Notwendig wäre ein frühzeitiger, konsequenter Kurswechsel.
Gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Widerstand blockiert notwendige Veränderungen. Herndl fordert einen grundlegenden Wandel weg von Wegwerfgesellschaft hin zu einer Kreislaufwirtschaft. Trotzdem bleibe es politisch bequemer, bestehende Strukturen zu schonen. Diese Verzögerungstaktik wirkt kurzfristig stabilisierend, erzeugt langfristig aber massive Risiken.
Ein weiteres Problem ist die fehlende politische Vision. Herndl betont, dass gute Klimakommunikation bedeutet, jedes angebliche Opfer in eine Steigerung der Lebensqualität zu übersetzen. „Aus dem Verzicht auf den Flug wird der Luxus der Entschleunigung im Heimaturlaub, aus dem Verzicht auf das Auto wird eine fahrradfreundliche Stadt und die Zeit, die wir im Stau sparen.“ Aus seiner Sicht bräuchte es Politik, die Zukunftsbilder formuliert und verständlich macht, statt nur auf aktuelle Stimmungen zu reagieren.
Globale Analysen wie der UN Emissions Gap Report bestätigen diese Diagnose. Technologische Lösungen sind längst vorhanden und kostengünstig. Die Schwachstelle liegt in politischen Entscheidungen, die klare Ziele, Planungssicherheit und das Ende der Steuergeschenke an fossile Konzerne verzögern.
Dass Demokratien die genannten Schwächen überwinden können, zeigt Dänemark. Herndl sieht das Land als Beweis dafür, dass gesellschaftlicher Rückhalt und Innovationsfreude entscheidend sind. Dänemark setzte früh auf Solar- und Windenergie und gilt ebenfalls als globaler Vorreiter.
Die Grundlage entstand jedoch auch hier aus wirtschaftlichen Motiven. In den 1980er Jahren exportierte das Land seine Windkrafttechnologie nach Kalifornien. Aufträge und neue Arbeitsplätze schufen eine junge Industrie, die später zum Motor der dänischen Energiewende wurde.
Ein strenges Klimagesetz verpflichtet das Land zu klar messbaren Zielen. Unabhängige Kontrollen sorgen für Transparenz und Verlässlichkeit. Gleichzeitig setzt die Politik wirtschaftliche Anreize, die fossile Energien verteuern und Investitionen in erneuerbare Technologien belohnen.
Städte wie Kopenhagen zeigen, wie effizient demokratische Systeme handeln, wenn politische Führung, gesellschaftliche Akzeptanz und wirtschaftliche Perspektiven zusammenkommen.
Die Klimakrise verlangt schnelles Handeln, doch autoritäre Systeme bieten dafür keinen verlässlichen Rahmen. Klimafolgenforscher Marc Olef hält die Debatte deshalb für fehlgeleitet. „Wir brauchen keine Diktatur, um das Klima zu retten. Wir brauchen funktionierende Demokratien.“ Autokratien könnten zwar einzelne Technologien rascher ausbauen, doch nachhaltige Klimapolitik braucht mehr als Tempo. Sie braucht Transparenz, gesellschaftliche Akzeptanz und langfristige Stabilität. Diese Grundlagen entstehen nicht durch Zwang, sondern durch Beteiligung und Vertrauen.
Die Experten sind sich einig. Demokratien verfügen über alle Mittel, um die Klimakrise zu bewältigen, sie müssen jedoch schneller und entschlossener werden. Wandel erzeugt Widerstand, doch politische Führung muss dennoch mutige Entscheidungen treffen. Herndl erinnert an klassische Beispiele.
Gegen den Bau der UNO City in Wien gab es ein Volksbegehren. Das Projekt wurde trotzdem umgesetzt. Wirtschaft und Kongresswesen profitieren inzwischen erheblich davon. Auch die Fußgängerzonen in der Kärntner Straße und auf der Mariahilfer Straße waren heftig umstritten. „Damals hieß es, das führt zum Tod der Einkaufsstraßen. Mittlerweile ist es undenkbar, dass Autos bis zum Stephansplatz fahren.“ Für Herndl zeigen solche Projekte, wie Demokratien erfolgreich handeln, wenn sie überzeugen, erklären und dann entschlossen umsetzen.
Demokratien sind weiterhin die besseren Systeme für den Klimaschutz, wenn sie ihre Stärken nutzen und Tempo aufnehmen.
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