„Wer schaut gerade?“ fragt mich mein Netflix-Konto, sobald ich mich auf die Couch fallen lasse und der Fernseher sich einschaltet. Die Empfehlungen sollen angeblich perfekt auf meinen Geschmack zugeschnitten sein. Mein Profil speichert jeden Film, den ich je angesehen, mit Daumen hoch oder runter bewertet oder auf meine Merkliste gesetzt habe. Doch statt mich inspiriert zurückzulehnen, klicke ich mich durch eine endlose Flut greller Bilder und klischeebeladener Titel, die in mir nur eines auslösen: Fremdscham.
Nach einer Phase des Verzweifelns wähle ich das Bewährte. Ich entscheide mich für einen älteren Film oder etwas, das ich schon kenne. Hauptsache, ich muss mich nicht weiter durch diesen Algorithmus-Dschungel kämpfen.
In der Nacht vom zweiten auf den dritten März findet heuer die berühmteste Preisverleihung der Filmwelt statt: die Oscars. Für Filmliebhabende gibt es also keinen besseren Zeitpunkt, um sich über Gott und die Welt aufzuregen. Denn der Film mit den meisten Nominierungen, Emilia Pérez, hat uns alle erinnert: irgendwie werden Filme immer schlechter. Dass ein Film wie dieser Musical Thriller 13 Nominierungen ergattern konnte, scheint symptomatisch für die Abwärtsspirale des Kinos des 21. Jahrhunderts.
Der von Kritiken hochgelobte Streifen macht sich einer der größten Sünden des Kinos der verganenen Jahre schuldig. Sie outen sich nicht rechtzeitig als das, was sie sind. Wer in diesem Fall einen klassischen Thriller erwartet, wird sich wundern, wenn die Protagonisten auf einmal lossingen, und das dann auch noch ohne Reim und Rhythmus. Und das sage ich als Filmeliebhaberin, die gar nichts gegen Musicals hat. Ich möchte nur vorher wissen, worauf ich mich einlasse.
Das Gleiche gilt auch für andere Filme. Wenn ich mich jahrelang auf Joker: Folie à Deux freue, bin ich vielleicht ein bisschen überrascht, wenn Lady Gaga plötzlich vor mir auf der Leinwand in Gesang und Tanz ausbricht. Wo bin ich hier gelandet? Mitten in einem Flashmob?
Joker: Folie á deux kreuzt übrigens ein weiteres Kästchen beim schlechte-Filme-Bingo an. Denn jedes Mal, wenn ein Film angekündigt wird, der das Remake eines bereits abgefrühstückten Themas ist, drehen sich alle verstorbenen Regisseure, die sich zuvor daran versucht haben, im Grab um.
Doch die Branche recycelt nicht nur alte Klassiker. Der neuste Trend, Fanfictions, also von Fans geschriebenen Geschichten über fiktive, von anderen geschaffene Charaktere, zu Filmen zu machen, erweckt in mir einen beinahe unbeschreibbarer Fremdscham. Red, White & Royal Blue, After, The Idea of You: Es gibt auch andere Möglichkeiten, für 16-Jährige Mädels unterhaltsam zu sein.
2024 waren ganze 39 Filme entweder Reboots, Remakes, Sequels oder Prequels. Also allesamt recycelte Ideen, die wir schon seit Jahren kennen. Können wir uns wirklich nichts Neues einfallen lassen?
Seit 2015 produziert Netflix eigene Filme und Serien. Einige davon sind gut, manche sogar sehr gut. Ich liebe ja viele Filme, die ich nur dank Netflix kennengelernt habe. Einer meiner Lieblingsfilme begeht sogar zwei dieser Todessünden des Kinos, und trotzdem liebe ich ihn: Der Horror-Thriller Annihilation ist sowohl ein Netflix-Original als auch eine Adaption der Southern Reach-Trilogie von Jeff VanderMeer.
Die meisten Netflix-Originals bewegen sich aber eher in Richtung Katastrophe. Die bringen mich dann an meinem Filme-Abend auf der Couch zur Verzweiflung. Stereotypen, Klischees und völlig unlustige Witze, die mit ihrem ganzen Wesen versuchen, den Film zitierfähig und lebensnah zu machen, können sehr wohl der Tod des Filmspaßes sein. Ganz zu schweigen von den krampfhaften Versuchen, völlig ausgereifte Erwachsene überzeugend 16-Jährige spielen zu lassen, mit denen sich das Publikum identifizieren soll. Ich spreche von dir, The Kissing Booth.
Filme sind Geschmackssache. Wenn jemand sich freut, die grelle Verfilmung von zehn Jahre alter Fanfiction zu sehen, soll mir das recht sein. Ich habe Filmwissenschaft studiert, aber mich nie als Filmsnob gesehen. Langsam wird mir dieses Kino jedoch zu bunt: und ich immer nerviger. Also, bevor ich mir einen Film ansehe, der sich unheimlicherweise als das neunte Remake eines alten Romans in Musical-Form entpuppt, bleibe ich eher daheim und genieße eine Rom-Com aus den Neunzigern.
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