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Wie unsere Großmütter die Geburt einleiteten

Um das Kind schneller zur Welt zu bringen, verzichteten unsere Großmütter tagelang auf Nahrung. Der dadurch sinkende Insulinspiegel sendete ein Signal an den Körper der Mutter und das Kind. Bald folgten Geburtswehen und Entbindung. Bewährt sich das Hausmittel nach wie vor? Was sagt die moderne Medizin dazu?
Lara Hassler  •  22. Juli 2025 Redakteurin    Sterne  440
Um schneller die Wehen einzuleiten, fasteten Schwangere früher tagelang. (Foto: picturedesk.com)
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Bis in die Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts leiteten Schwangere die Wehen durch Fasten ein. Geburtshelferin Alexandra Jesch-Böhnhardt erklärt das so: „Aus evolutionärer Sicht gibt das Baby früher den Impuls für den Wehenstart, wenn die Mutter die Versorgung einstellt.“ Anders ausgedrückt: Wenn der Embryo merkt, da kommt nichts mehr, tritt er die Flucht nach vorne an.

Die Schulmedizin rät allerdings von der Praxis ab. „Ein strenges Fasten vor der Geburt empfehlen Ärzte heute nicht mehr. Es gibt auch keine wissenschaftliche Evidenz dafür“, sagt Andreas Brandstetter, Leiter der Gynäkologie und Geburtshilfe des St. Josef Krankenhauses. 

Schlaflosigkeit und Erschöpfung

Ähnlich sieht das Geburtshelferin Lesch-Böhnhardt. „Die letzten Tage der Schwangerschaft sind geprägt von Schlaflosigkeit und Erschöpfung. Außerdem fehlt dem Körper Flüssigkeit. Fasten ist in dieser Situation kontraproduktiv“, sagt sie. Für die Geburt brauche die werdende Mutter Kraft und Energie. Bekommt der Körper keine Nahrung, schaltet er auf Fettverbrennung um. Dabei entstehen die von der Leber produzierten Ketone. Sie können am Gehirn des Babys Schaden anrichten. Sauerstoffmangel und Notfälle während der Geburt sind möglich. 

 Ketogene Diät führt schneller zu Wehen

Auch Geburtshelferin Angelika Rodler sieht den vollständigen Verzicht auf Nahrung für mehrere Tage problematisch. „Das belastet den ohnehin mitgenommenen Körper zusätzlich“, sagt sie. Einer abgemilderten Form des Fastens kann Rodler jedoch auch bei Frauen kurz vor der Entbindung etwas abgewinnen. Für den positiven Effekt gibt es medizinische Belege. 

„Manche Frauen praktizieren die Louven-Diät. Damit versuchen sie den Insulinspiegel in den Wochen vor der Geburt konstant niedrig zu halten, damit die Prostaglandine besser wirken können“, sagt Gynäkologe Brandstetter. Prostaglandine sind Gewebshormone, die die Wehenbildung anregen.

Bei der Diät verzichten die Frauen weitgehend auf Kohlenhydrate und Fett und nehmen stattdessen Eiweißquellen wie Eier, Milch, Joghurt und mageres Fleisch zu sich. Die Ernährung lässt Gewebehormone besser an der Gebärmutter andocken. Das fördert die Wehen. „Um von der Diät zu profitieren, sollten werdende Mütter bereits acht Wochen vor der Geburt ihre Ernährung umstellen“, so Brandstetter. 

Natürliche Geburtseinleitung ohne Fasten

Anstatt auf Nahrung zu verzichten, empfehlen Ärzte andere Wege der natürlichen Wehenförderung. So würden etwa Bewegung und warme Bäder stimulierend wirken. „Auch Akupunktur und Geschlechtsverkehr können beim Einleiten der Wehen helfen“, sagt Gynäkologe Brandstetter. Der Arzt macht auch auf die Risiken bestimmter Methoden aufmerksam. 

„Die Brustwarzenstimulation kann im Extremfall einen Wehensturm auslösen, der für das Baby Stress bedeutet“, sagt er. Ein zu warmes Bad könne den Kreislauf belasten. Zu Vorsicht rät Brandstetter auch bei den sogenannten „Wehencocktails“. Oft enthalten sie das stark abführend wirkende Rizinusöl. Die Einnahme könne zu Übelkeit, Erbrechen, im ungünstigen Fall auch zu einem Wehensturm führen. Dabei treten die Wehen sehr schnell hintereinander auf, ohne ausreichend Pausen dazwischen. Das belastet die Mutter zusätzlich. Die hohe Wehenfrequenz kann auch die Sauerstoffversorgung des Babys beeinträchtigen.

Jede vierte Geburt künstlich eingeleitet

Die meisten Frauen warten ab, bis die Geburt von selbst beginnt. Haben sie den errechneten Geburtstermin überschritten, versucht in Österreich mehr als die Hälfte der Frauen die Wehen mit Hausmitteln oder Hebammenmethoden anzuregen.

Erst wenn die Schwangerschaft den errechneten Geburtstermin um mehr als sieben Tage übersteigt, leiten Ärzte die Geburt künstlich ein. Das ist bei etwa jeder vierten Frau der Fall. In Notfällen kommt es gar nicht zur Weheneinleitung. Dann bringt die Mutter das Kind per Kaiserschnitt zur Welt.


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