Die Zeit der Volkskirche sei vorbei, nur noch in Ausnahmefällen werde der Glaube innerhalb von Familien von einer Generation an die nächste weitergegeben. Er selbst habe sich zwar für ein eheloses Leben entschieden, das Zölibat solle aber keine Voraussetzung für das Priesteramt sein und Frauen sollten bis hinauf ins Kardinalskollegium, den wichtigsten Beraterkreis des Papstes, Verantwortung übernehmen. Das alles sagte der Apostolische Administrator der Erzdiözese Wien und frühere Bischofsvikar Josef Grünwidl jüngst in einem von der Ö1-Sendung „Lebenskunst“ ausgestrahlten Interview.
Wer Christoph Schönborn als Wiener Erzbischof nachfolgt, dazu bot er bei dem Interview nur beredtes Schweigen, doch die Entscheidung dürfte feststehen, wie campus a aus gut informierten Kreisen erfuhr. Der im niederösterreichischen Wullersdorf aufgewachsene Theologe und gelernte Konzertorganist hatte bisher die anspruchsvolle Funktion abgelehnt und soll unter anderem sein fehlendes Doktorat als Begründung genannt haben. Was den Vatikan nicht gestört haben dürfte. Der soll ihn zuletzt an die Pflicht zum Gehorsam erinnert haben, weshalb Grünwidl eingelenkt haben soll.
Ein steiler Aufstieg für den einstigen Kaplan der Wiener Pfarre St. Johann Nepomuk, der jedenfalls aus Sicht des Vatikan Sinn macht. Denn der hat unter anderem mit der Komplexität der weltweiten Christenheit zu kämpfen: Jedes Land interpretiert das Christentum anders und hat dementsprechend andere Erwartungen an dessen Proponenten. Einen einzelnen Mann an der Spitze, dem Papst, stellt das bei seinen Positionen, Signalen und Reformen vor erhebliche Herausforderungen. Weshalb die Kirche bemüht ist, auf Landes- und Regionen-Ebene die Bedürfnisse der Gläubigen abzubilden.
Da passt Gründwidl mit seinem Pragmatismus und seiner Haltung in der Geschlechterfrage perfekt zur Mehrheit der Österreicher. Dass er katholische Werte wie Bescheidenheit lebt und dass er den Job kann, zeigt er, seit er Schönborn vertritt. Bescheidenheit bedeutete dann wohl irgendwann auch, sich nicht noch länger bitten zu lassen.
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