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Gewalt an Wiener Schulen: Lehrer warnen, Behörde schweigt

Wie brutal geht es an Wiens Schulen wirklich zu und warum fliegen gefährliche Schüler so selten von der Schule? campus a hat sich umgehört. Ein Report.
Lisa-Marie Rolly  •  13. Oktober 2025 Volontärin    Sterne  94
Die Gewaltbereitschaft an Wiener Schulen steigt, Lehrpersonen fühlen sich von der Bildungsdirektion alleingelassen. (Foto: Shutterstock)
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Gewalt gegen Mitschüler und Lehrkräfte ist an einigen Wiener Schulen keine Ausnahme mehr. Auch der Umgangston der Kinder sorgt für zunehmende Besorgnis beim Lehrpersonal. „Das fängt mit Aussagen wie ‚Ich sage dir, was ich tue, nicht du mir‘ an und geht weiter bis zu Drohungen wie ‚Wenn ich ausraste, habt ihr ein großes Problem‘“, erzählt Frau Brigitte Maier (Name von der Redaktion geändert) eine Lehrerin aus dem 20. Bezirk. Sie ist seit mehr als dreißig Jahren im Dienst und hat in ihrem Beruf schon einiges erlebt.

Sogar an eine lebensbedrohliche Situation erinnert sie sich: „Ein Lehrer wollte dem Kind das Handy abnehmen, daraufhin hat ihn das Kind mit einer Schere attackiert. Ich habe die Auseinandersetzung mitbekommen, bin in die Klasse gegangen und habe versucht, den Schüler durch Reden abzulenken und die Aufmerksamkeit auf mich zu ziehen.“

Auf Druck der Personalvertretung gibt es nun erstmals die Möglichkeit für das Lehrpersonal, Schutzkleidung anzulegen. Frau Brigitte Maier belächelt diese Präventionsmaßnahme: „Wer stellt sich denn mit Schutzanzug in die Klasse?“ Auch Thomas Krebs, stellvertretender Vorsitzender der Wiener Pflichtschullehrer-Gewerkschaft fcg sieht das Ganze kritisch: Präventionsprogramme gäbe es zwar, für den Notfall seien Lehrer aber weder vorbereitet noch geschützt.

Bildungsdirektion spielt Problem herunter

Die gewaltsamen Vorfälle an Wiener Schulen steigen. Von 2015 bis 2024 haben sie sich mehr als verdoppelt. Das geht aus der Statistik der Landespolizeidirektion Wien vom Juni dieses Jahres hervor. Laut APA handelt es sich um 632 Anzeigen, davon 592 Anzeigen wegen Körperverletzung.

Auf campus a Anfrage weicht die Bildungsdirektion aus: „Die Zahl der Suspendierungen ist leicht im Sinken. Dass gewaltsame Ausschreitungen im Steigen sind, ist somit nicht richtig.“ Dass nicht jeder Gewaltausbruch eine Suspendierung nach sich zieht, scheint bei der Aussage unwichtig.

 Im September ließ die Bildungsdirektion im Standard diesbezüglich noch andere Töne hören: 784 Suspendierungen waren es im Schuljahr 2024/25. Mehr als im Schuljahr davor (756).

 Dass die genaue Zahl der Suspendierungen unklar bleibt, begründet Gewerkschafter Krebs mit der Dunkelziffer. Unterschiedlich handelnde Personen würden Suspendierungen teilweise unterbinden. So gab es beispielsweise Zwischenfälle, die Behördenvertreter als nicht ausreichend für eine Suspendierung werteten.

 Frau Brigitte Maier berichtet von so einem Vorfall: „Wir mussten einen Schüler kurz nach Semesterbeginn suspendieren. Er ist davor bereits von mehr als drei Schulen geflogen. Nachdem er sich geweigert hat, zu arbeiten und gedroht hat‚ ‚alle abzustechen‘, haben wir die Reißleine gezogen. Sowas können wir nicht verantworten. Wir haben die Suspendierung zwar genehmigt bekommen, erhielten aber eine Mahnung von der Bildungsdirektion, weil wir ‚zu schnell suspendieren‘.“

Strafen, die niemand ernst nimmt

Anzeigen und Suspendierungen treten in den seltensten Fällen in Kraft. Das liegt vor allem am bürokratischen Aufwand, der damit einhergeht. „Die ganzen dafür nötigen Formulare sind so zeitaufwändig, dass die meisten Kollegen von Mahnungen und dergleichen absehen, weil sie im Schulalltag dafür einfach keine Zeit haben“, stellt Frau Brigitte Maier klar. Selbst wenn die Lehrkräfte die Formulare einreichen, ist die Chance gering, dass sie die Bildungsbehörde tatsächlich genehmigt.

 Seit der Messerstecherei reagieren die Lehrer im 20. Bezirk schneller. Das Lehrpersonal versucht nun einzuschreiten, sobald es bei Kindern Aggressionspotenzial beobachtet. Auch Kooperationen mit der Polizei gibt es. Allerdings mit begrenzten Erfolgen. Die Beamten können die Kinder zwar darauf hinweisen, dass sie mit 14 Jahren strafmündig sind, in den meisten Fällen imponiert ihnen das aber nicht. Die Vorfälle bleiben ohne Konsequenzen und das wissen die Kinder.

„Die Gewaltbereitschaft in Wiener Schulen […] zeigt sich auf immer breiteren Ebenen […]: der physischen, psychischen, verbalen und der digitalen. Parallel dazu trägt die Zunahme von Radikalisierung zur Schwierigkeit der Lage deutlich bei. SchülerInnen haben im Vergleich zu früher immer weniger Hemmschwellen, Gewalt auszuüben“, so Krebs.

„Hast du Angst vor Kindern?“

Wie der Schulalltag wirklich aussieht, das wissen die wenigsten. Frau Silvia Bauer (Name von der Redaktion geändert) ist in ihrem sechsten Dienstjahr und unterrichtet in einer Volksschule im zehnten Bezirk. Nebenbei macht sie eine Ausbildung zur Mentorin für Junglehrer. Auch sie sieht, wie überfordert die jungen Kollegen teilweise sind. „Die Lehrer, die frisch aus der Ausbildung kommen, sind immer überrascht, wie es wirklich in den Klassenzimmern zugeht“. Auch Frau Brigitte Maier kennt das Problem: „Wir fragen bei Neuen mittlerweile nicht mehr ‚Wo hast du studiert?‘, sondern ‚Hast du Angst vor Kindern?‘“

 Die Forderung der Lehrkräfte an die Regierung ist simpel: Krisenmanagement und Selbstreflexion müssen einen Platz in der Ausbildung finden. Wie Lehrkräfte lernen, die täglichen Belastungen nicht mit nach Hause zu nehmen, das wünscht sich Frau Bauer. Damit ist sie nicht allein. In einer Umfrage im Rahmen des Mental Health Days 2025 wünschten sich 94 Prozent der 2.500 befragten Wiener Lehrkräfte mehr professionelle Unterstützung in Belastungssituationen.

 Zwei Drittel der befragten Lehrer finden, dass die Bildungsdirektion zu wenig unterstützt. Als Verantwortliche für alle Wiener Schulen, versteht sich die Behörde als „Partner und Ansprechpartner für alle Schüler, Eltern und Lehrer“, heißt es auf der Website. Auf Anfrage weist die Pressesprecherin der Bildungsdirektion die Verantwortung allerdings zurück: Für das Wohlergehen der Lehrkräfte sei nicht die Bildungsdirektion zuständig, sondern die Schulleitung. 


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