Wien | Gesundheit | Meinung | Chronik | Kultur | Umwelt | Wirtschaft | Politik | Panorama
ChronikInternationalMeinung

„Findet heraus, was euch wirklich interessiert“

Ihre Reportagen und Porträts führen sie um die ganze Welt und erscheinen in Medien wie Süddeutsche Zeitung, Die Zeit oder Reportagen. Barbara Bachmann recherchiert zu gesellschaftlichen Entwicklungen und menschlichen Schicksalen. Ein Gespräch über das Leben als freie Journalistin, die Kunst, bewegend zu schreiben und die Auswirkungen sinkenden Medienvertrauens auf die Recherche.
Valentina Kuen  •  13. Mai 2025 Volontärin    Sterne  34
Barbara Bachmann: „Als freie Reporterin kann ich die unterschiedlichsten Geschichten erzählen. Ich kann mich jenen widmen, die mich am meisten interessieren.“ (Foto: Mirja Kofler)
X / Twitter Facebook WhatsApp LinkedIn Kopieren

campus a: Warum sind Sie lieber freie Journalistin als angestellte Redakteurin?

Bachmann: Als freie Reporterin kann ich die unterschiedlichsten Geschichten erzählen. Ich kann mich jenen widmen, die mich am meisten interessieren. In den Redaktionen oder Ressorts geht es meist thematisch in eine bestimmte Richtung. Ich habe die Freiheit, selbst zu entscheiden, was ich welchem Medium anbiete.

 campus a: Gibt es noch andere Gründe?

Bachmann: Ich bin als freie Reporterin auch örtlich ungebunden. Ich lebe mit meiner Familie in Südtirol, wo es keine größere Redaktion in der Nähe gibt. Als Freie kann ich trotzdem auf einem gewissen Niveau arbeiten.

 campus a: Finden Sie immer genug Geschichten?

Bachmann: Ich habe oft das Gefühl, dass die Geschichten mich finden. Wenn ich zum Beispiel auf einen besonderen Menschen stoße, deren Werdegang, Leben, innerer Konflikt mich interessiert. Ich mag es, wenn ich im Kleinen das Größere erzählen kann. Manchmal habe ich selbst Fragen an das Leben, und daraus entstehen Ideen für Texte. Ich habe auch persönliche Texte geschrieben. Eigentlich habe ich immer mehr Ideen als Zeit.

 campus a: Kommen Redaktionen manchmal auch mit konkreten Themenvorschlägen auf Sie zu?

Bachmann: Ab und an. Wenn es einen Text zu einem Projekt eines Fotografen oder einer Fotografin braucht. Meist realisiere ich aber meine eigenen Ideen.

 campus a: Gibt es Orte, die Sie besonders fasziniert haben?

Bachmann: Besonders am Anfang meiner beruflichen Laufbahn, nach dem Besuch der Reportageschule in Reutlingen, bin ich viel gereist und habe Geschichten aus aller Welt erzählt. Mittlerweile konzentriere ich mich auf Italien.

campus a: Warum?

Bachmann: Das hat zum einen private Gründe, da die Recherchen geografisch näher an meinem Wohnort liegen und sich leichter realisieren lassen. Es macht mir auch mehr Spaß, wenn ich mit den Menschen selbst sprechen kann, ohne Übersetzer oder Übersetzerin. Da geht leider viel Zwischenmenschliches verloren. In Italien spreche ich die Sprache fließend und kenne die Kultur. Trotzdem habe ich als Südtirolerin auch einen Blick von außen.

 campus a: Welche Rolle spielt die Mehrsprachigkeit in Südtirol bei Ihrer Arbeit?

Bachmann: Ich sehe sie als absoluten Vorteil. Ich lebe und recherchiere in Italien, bin aber deutschsprachig sozialisiert und arbeite für deutschsprachige Medien. Ich wäre gerne noch stärker mehrsprachig aufgewachsen.

 campus a: Manchmal greifen Sie tabuisierte Themen auf.

Bachmann: Tabus zu brechen ist nie der eine Grund, warum ich eine Geschichte erzähle, sondern eher die Konsequenz. Ich habe auch über die stille Geburt meiner Tochter geschrieben. Zunächst nur für mich, der Text war nicht für eine Veröffentlichung gedacht. Dann hatte ich das Gefühl, es könnte einen Unterschied machen. Damit andere Betroffene sich gesehen fühlen und das Thema Sternenkinder und stille Geburt mehr Aufmerksamkeit bekommen.

campus a: Sie haben intensiv zum Fall Tiziana Cantone recherchiert. Die junge Süditalienerin hatte sich 2016 nach jahrelangem Cybermobbing das Leben genommen. Wie gehen Sie an so eine sensible Reportage heran?

Bachmann: Diese Geschichte hat mich lange nicht losgelassen. Ich habe im Radio die Nachricht von ihrem Tod gehört. Bei einem Besuch in Neapel hatte ich zuvor schon von ihr erfahren. Ich habe mir die Berichterstattung zu ihr angeschaut. Und bald festgestellt, dass ihre Geschichte nur sehr oberflächlich, lückenhaft und, wie sich später herausstellte, fehlerhaft, erzählt ist.

 campus a: Wie gehen Sie weiter vor, wenn Sie in so einem Fall feststellen, dass es da noch etwas zu erzählen gibt?

Bachmann: Ich lese mich zunächst einmal sorgfältig ein. Ich lege ein Dossier an, in dem ich alle verfügbaren Informationen sammle. Danach kontaktiere ich die involvierten Menschen, in diesem Fall die Mutter über deren Anwalt. Dann zählt vor allem eines: den Menschen begegnen, sich Zeit nehmen, zuhören. Das Tolle an unserem Beruf ist, dass wir rausgehen können. Was sich wirklich hinter einer Nachricht oder einem Nebensatz verbirgt, sehen wir erst, wenn wir Recherchen vor Ort durchführen und mit den Menschen persönlich sprechen.

campus a: Was ist die größte Herausforderung bei derart persönlichen Geschichten, insbesondere im Umgang mit Angehörigen oder Betroffenen?

Bachmann: Bei heiklen Themen gibt es diesen einen Moment: Den der ersten Begegnung. Da treffen die Gesprächspartner die Entscheidung, ob sie einem vertrauen oder nicht. Im Fall Tiziana Cantone hatte ihre Mutter einem kurzen Treffen in der Kanzlei ihres Anwalts zugestimmt. Ich wusste, ich würde viel mehr Zeit mit ihr brauchen und in diesen ersten Minuten hat sie entschieden, mir zu vertrauen. Ich durfte sie zu Hause besuchen und anrufen. Es ist wichtig, ehrliches Interesse zu zeigen, auch Respekt, und sich Zeit zu nehmen. Oft ist es auch Glückssache.

 campus a: Das Vertrauen gegenüber klassischen Medien scheint zu sinken?

Bachmann: Da gibt es leider tatsächlich einen Vertrauensverlust. Aber bei meinen Recherchen im Ausland kennen meine Gesprächspartner das Medium, für das ich arbeite, meist gar nicht. In solchen Momenten zählt nicht der Name der Redaktion, sondern die persönliche Haltung. Da geht es darum, als Mensch Vertrauen zu gewinnen.

 campus a: Gibt es Unterschiede im Medienvertrauen zwischen Italien und dem deutschsprachigen Raum?

Bachmann: In Italien merke ich schon lange ein starkes Misstrauen gegenüber klassischen Medien. Seit Jahren gibt es Probleme mit Falschnachrichten, wie auch der Fall Tiziana Cantone gezeigt hat. Viele sind dann positiv überrascht, wenn ich journalistische Standards einhalte, also wenn ich alle Fakten eines Textes vorab nochmal mit ihnen checke oder Zitate autorisieren lasse. Ein deutschsprachiges Medium hat da in Italien schon einen Vertrauensvorschuss gegenüber italienischen Medien. Vielleicht schwindet das aber auch immer mehr.

campus a: Welche Tipps würden Sie jungen (freien) Journalistinnen und Journalisten mitgeben?

Bachmann: Es braucht Frustrationstoleranz, vor allem am Anfang. Als Freie schwankt das Einkommen von Monat zu Monat, es gibt keinen bezahlten Urlaub. Seit Jahren herrscht auch ein gewisser Pessimismus in der Branche. Trotzdem kann ich nur empfehlen, diesem Beruf nachzugehen. Es ist der schönste, tollste überhaupt. Wird dürfen Fragen stellen. Türen öffnen sich, durch die wir als Privatperson nicht gehen können. Ich habe durch diesen Beruf so viel gelernt und so viel erlebt, was sonst nicht möglich gewesen wäre. Also bleibt dran, seid hartnäckig, fühlt in euch hinein und findet heraus, was euch wirklich interessiert. Bewahrt eine gewisse kindliche Neugierde und pflegt einen respektvollen Umgang mit euren Mitmenschen.

 campus a: Danke für das Gespräch und Ihre motivierenden Worte.

Dieser Beitrag entstand im Rahmen des Projektes „Die Paris-Lodron-Universität Salzburg macht Journalismus“.
Es ist ermöglicht mit freundlicher Unterstützung durch dm drogerie markt und Salzburg AG.

dm Salzburg AG

campus a-Preis für Nachwuchsjournalismus

Werde Teil der campus a-Redaktion!

Verfasse auch du einen Beitrag auf campus a.

Empfehlungen für dich

Kommentar
0/1000 Zeichen
Advertisement