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Christfluencer: Der neue frauenfeindliche Jesus-Hype

Christfluencer versprechen Frauen ein göttliches Glow-up, wenn sie zu Jesus finden. Doch sogar die Kirche hat ein Problem damit. Denn nach Girlboss und Tradwife verbirgt sich dahinter der nächste Versuch, längst überwunden geglaubte Frauenbilder neu zu beleben.
Katharina Bittner  •  10. Juli 2025 Volontärin    Sterne  146
Mit dem Versprechen von Schönheit und Ordnung knüpft der Jesus Glow an alte Rollenbilder und neue Unsicherheiten an. (Foto: picturedesk)
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„Der Jesus Glow funktioniert nicht…“ steht über dem ersten Clip. Ein unscheinbares Selfie, fahles Licht, ungeschminkt. Dann ein Schnitt. Im zweiten Clip strahlt dieselbe Frau in die Kamera. Lipgloss glänzt, ein warmer Filter liegt über ihrem Gesicht. Darunter blinkt: „Doch tut er.“ Millionen sehen solche Videos auf TikTok und Instagram. Denn Videos wie dieses gehen viral. Junge Frauen zeigen, wie schön sie werden, wenn sie zu Gott finden. Ein göttliches Glow-up, das besser aussieht als jedes Make-up.

Nach Girlboss und Tradwife prägt jetzt der Jesus Glow die Feeds junger Frauen. Christfluencer versprechen ein göttliches Glow-up, sobald Frauen zu Jesus finden. Sie sprechen von einem besseren Leben, gesunden Körpern und strahlendem Aussehen für alle, die lernen, wie eine Frau Gottes zu leben. Im Kern geht es um christliche Selbstoptimierung.

Zwischen Selflove und Unterordnung

Dieser Trend wirkt zunächst wie ein positives Versprechen, entpuppt sich in seinen Extremen jedoch als antifeministische Bewegung, die aus Selbstoptimierung Gehorsam macht. Er propagiert westliche und weiße Schönheitsideale und verlangt die Unterordnung der Frau, zuerst vor Gott und dann vor dem Ehemann als Oberhaupt der Familie. Auch politische Verantwortung sollen Frauen abgeben. Eine Christfluencerin schreibt: „Früher habe ich mich sehr für Politik interessiert, heute entspanne ich mich, während mein Mann mir sagt, was ich denken soll.“

Die Idee, dass eine Frau sich in der Ehe unterordnet und im Dienst der Familie steht, kommt wahrscheinlich vielen bekannt vor. Denn auch die Tradwives gründen ihren Hauptgedanken auf der Trennung der Geschlechter und darauf, welche Aufgaben Frauen und Männer haben sollen. Hier treffen sich Christfluencer und Tradwives. Was die Frage aufwirft: Ist der Jesus Glow die Endstufe der Tradwife-Bewegung?

Doch selbst Christinnen und Christen üben Kritik an diesem Trend. Sie sagen, Christfluencer würden unter dem Schlagwort „Faith“ hyperkonservative, fundamentalistische Propaganda verkaufen – dabei hübsch verpackt fürs Internet. Beide Bewegungen beruhen auf extrem konservativen Werten. Der Tradwife-Lifestyle strebt ein traditionelles Leben in der Kernfamilie an. Dahinter steht die Vorstellung, die Welt sei falsch und ungesund geworden. Frauen sollen das in ihrer eigenen Familie ändern. Dieser Gedanke basiert auf dem biblischen Bild, dass die Menschheit Rettung braucht. Und wenn das Marmeladekochen nicht mehr reicht, bleibt nur noch Gott als Lösung.

Lisa, Lena und die Freikirchen

Wie sich dieser Trend in Deutschland zeigt, lässt sich am Beispiel von Lisa Mantler sehen. Zusammen mit ihrer Zwillingsschwester Lena wurden sie als „Lisa und Lena“ zu einem der erfolgreichsten Influencer-Duos im deutschsprachigen Raum. Millionen kennen sie von TikTok und Instagram. Heute inspiriert Lisa ihre Follower mit christlichen Inhalten. Sie sagt: „Ich merke einfach, sobald ich mich von Gott entferne, fehlt mir etwas, das mir keiner geben kann, kein Mensch, kein Job.“

Lisa ist Teil der International Christian Fellowship (ICF) in Karlsruhe, einer Freikirche, die sich nach außen offen und zeitgemäß präsentiert, aber konservative Positionen vertritt. Freikirchen sind vom Staat unabhängige Kirchen, die bei Theologen und Fachleuten immer wieder in der Kritik stehen, weil sie Tendenzen zu sektenartigen Strukturen aufzeigen. Viele Freikirchen sprechen sich gegen Abtreibung und die Ehe für alle aus und treten dabei queerfeindlich auf.

Während Lisa ihren Glauben öffentlich lebt, ringt ihre Schwester Lena mit ihrer Sexualität in Bezug zu ihrem Glauben. Lena hat sich als queer geoutet und spricht darüber, dass sie Angst hat, dafür in die Hölle zu kommen. Die Zwillinge stehen für eine Generation, die zwischen Social Media, dem Druck zur Selbstoptimierung und dem Wunsch nach einem guten Leben im Glauben schwankt.

Extreme Religion und Politik

Der Jesus Glow gehört jedoch zu einer größeren Bewegung, in der Religion und rechte Politik Hand in Hand gehen. In den USA sind weiße evangelikale Christinnen und Christen eine der wichtigsten Wählergruppen der Republikaner. 82 Prozent von ihnen wählten Trump, obwohl er alles andere als einen frommen Lebensstil führt. Die Allianz zwischen Republikanern und Evangelikalen besteht seit den 1980er Jahren. Doch unter Trump sind sie zu einem regelrechten Powerduo geworden.

Trump nutzt diese Chance und betreibt gezieltes christliches Marketing. Er verkauft Bibeln mit seinem Namen, inszeniert sich als Retter und verknüpft religiöse Symbole mit politischen Botschaften. Er nutzt Ängste vor einer unsicheren Welt und verspricht eine Rückkehr zu alten Werten und klaren Rollen. So stärkt er seinen Rückhalt in einer Szene, die traditionelle Familienstrukturen als gottgewollt ansieht.

Doch warum findet diese Allianz gerade jetzt so viel Zuspruch? Nach der Corona-Pandemie geriet die US-Wirtschaft in eine Rezession. Viele Menschen nehmen ihre wirtschaftliche Lage seitdem schlechter wahr, als sie tatsächlich ist. In solchen Zeiten suchen sie Halt im Glauben. Wer die Bibel streng auslegt, findet Sicherheit in konservativen Werten und klaren Rollenbildern. Trump greift diese Sehnsucht auf, stellt sich als Beschützer dar und liefert einfache Antworten auf komplexe Krisen.

Am Ende verbindet diese Bewegung nicht der Glaube, sondern die politische Strategie. In der christlichen Rechten findet Trump den stärksten Rückhalt für seinen Kurs. Diese Verbindung wirkt weit über die USA hinaus und beeinflusst politische Strömungen weltweit.

Was bleibt?

Der Jesus Glow zeigt, wie eng Religion, Schönheitsideale und politische Macht verknüpft sein können. Er verkauft Glanz in einer unsicheren Welt, doch hinter der Fassade stehen alte Rollenbilder und ein Ruf nach Unterordnung. Wer diesem Trend folgt, entscheidet sich nicht nur für einen Glauben, sondern oft auch für ein Weltbild, das Frauen klein hält und Politik zur religiösen Bühne macht.


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