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Trotz Wirtschaftsboom stagniert Chinas Strahlkraft

Während China wirtschaftlich zur Weltmacht aufsteigt, dringen chinesische Kultureinflüsse vermehrt in die globale Konsumkultur ein. Stimmen aus der Wirtschaftspresse beschwören seit Jahren den Anbruch eines „Chinesischen Jahrhunderts“. Fast scheint es, das Reich der Mitte könnte den bis heute dominierenden „American Way of Life“ tatsächlich ersetzen. Doch der Eindruck täuscht, meint der Zürcher Sinologe Jean Christopher Mittelstädt.
Robert Gafgo  •  20. Oktober 2025 Redakteur    Sterne  638
Puppen chinesischer Marken erobern die Herzen von Kindern und Erwachsenen weltweit. Das macht aber noch lange keine Kulturrevolution, der Sinologe Mittelstädt. (Foto: Shutterstock)
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Dank günstiger Produktionskosten galt China vielen Unternehmen und Konsumenten lange als Fabrik der Welt. Doch Made in China dringt nicht mehr nur über Containerhäfen in den europäischen Alltag. Zum Sortiment aus Elektronik, Kunststoffen und Lebensmitteln gesellten sich Popkultur und Lifestyle als neue Exportschlager.  

Zunehmend stellt China ein Gegengewicht zur amerikanischen Vorherrschaft dar. Gerne präsentiert sich die aufstrebende Supermacht in der Rolle des gütigen, von allen geliebten Riesen. In der staatlichen Selbstdarstellung schein sich die chinesische Kultur wie von selbst unter den Völkern der Erde zu verbreiten. Schrittweise sickern derartige Narrative auch in die westliche Medienlandschaft.

„Anders als oftmals angenommen, ist Chinas globale kulturelle Ausstrahlung nicht im Aufschwung, sondern sie stagniert“, sagt der Zürcher Sinologe Jean Christopher Mittelstädt. „Mancherorts sei sie sogar rückläufig.“ Hinter Pomp und Erfolgsmeldungen verbergen sich oft mehr Schein und Programmatik als erwartet.

Der Labubu-Moment  

Mittlerweile stabilisierte sich der Hype um die Labubu-Plüschfiguren des chinesischen Herstellers Pop Mart, doch Mitte 2025 wurden sie zum globalen Phänomen. Social-Media-Trends krönten die kleinen Monster mit dem dämonischen Grinsen zum Statussymbol. Kooperationen mit Coca Cola, Luxusmarken wie Tiffany oder dem Pariser Louvre folgten.

Wie einst Hello Kitty, Tamagotchis und Monchhichi-Puppen aus Japan, koreanische K-Pop Bands oder Walt Disneys Mickey Mouse wurden Labubus zu einem weltweit wiedererkannten Symbol. Der Massentrend markierte zugleich einen Wendepunkt der globalen Konsumkultur. Erstmals wurde ein Staat außerhalb der „westlichen“, US-amerikanisch geprägten Sphäre zum Trendsetter.

Konsum treibt Relevanz 

Für China selbst ist der Fall ebenso ein Wendepunkt. Vorbei sind die Zeiten, in denen die Volksrepublik als Werkbank westlicher Marken im Hintergrund blieb. Quishi, die Zeitschrift des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Chinas, fasste vergangenen Juni zusammen, China würde „ein robustes Ökosystem der Innovation kultivieren“, das „zunehmend als globaler Inkubator dient, dessen Samen der Kreativität überall sprießen.“  

Der Höhenflug der Labubus markiert dabei nur eine Momentaufnahme einer noch größeren Entwicklung. Nach dem Tod von Staatspräsident Mao Zedong 1976 transformierte sich die chinesische Planwirtschaft in eine sozialistische Marktwirtschaft. Die Öffnung der Märkte bewirkte ein Wirtschaftswachstum, das den Staat auf die Position der heute zweitgrößten Wirtschaftsmacht katapultierte. 

Gleichermaßen wuchs China in der Wahrnehmung der Konsumenten. Seit 2022 liefert etwa der Online-Händler Temu chinesische Billigst-Produkte in mehr als 90 Märkte weltweit. Andere Konsumgüter wie Dramaserien und Videospiel-Blockbuster wie Genshin Impact oder Black Myth: Wukong erreichen außerhalb Chinas täglich ein Publikum von Millionen. 

Ein Aufkleber mit der Aufschrift „Chinesisch Lernen“ klebt an einem Laternenpfahl.Als Sprache ist Chinesisch stark vom jeweiligen Kontext abhängig. Neben der Aussprache bestimmt auch die Tonhöhe eines Wortes dessen Bedeutung. (Foto: Robert Gafgo)

Chinesisch im Kindergartenalter

Als Fremdsprache mit Zukunftspotential scheint Chinesisch an Popularität zu gewinnen. Neben Chinas Nachbarstaaten etablieren mittlerweile auch dessen Partner Saudi Arabien oder Qatar Chinesisch-Unterricht in staatlichen Schulen.  

War in Österreich ein Chinesisch-Sprachkurs noch vor zwanzig Jahren für viele mehr ein Kuriosum als eine ernsthafte Erwägung, zeichnet sich hierzulande eine ähnliche, wenngleich schwächere Tendenz ab. Seit 2016 bieten ausgewählte Schulen Chinesisch als Maturafach an. Andere Adressen, etwa die Europäischen Volksschule in der Wiener Goldschlaggasse, bringen Schülerinnen und Schüler noch früher mit der chinesischen Sprache in Kontakt. Hier unterrichtet die gebürtige Chinesin Xiajie Jiang zweimal wöchentlich Chinesisch.  

Seit 2024 leitet Jiang mir ihrem Ehemann Alexander Jank die private Bildungseinrichtung Polymind im dritten Wiener Gemeindebezirk. Im Angebot stehen Chinesisch- und Deutsch-Kurse für Kinder, Erwachsene und Unternehmen. „Am beliebtesten sind unsere Chinesisch-Kurse für Kinder und Kleinkinder“, erzählen sie. Während chinesische Familien, teils schon in zweiter oder dritter Generation in Österreich, ihren Nachwuchs mit der chinesischen Sprache vertraut machen wollen oder andere Eltern sich lediglich für die Kultur begeistern, gibt es auch pragmatischere Motive, sein Kind in einen Chinesisch-Kurs zu schicken.  

„Es gibt auch Eltern, die den Nutzen der Sprache im Auge haben. Sollte China noch mächtiger werden, nutzt es dem eigenen Kind zu der Minderheit zu gehören, die Chinesisch beherrscht“, sagt Jank. Jung lernt es sich bekanntlich am besten. Polyminds jüngste Schüler sind zwischen zwei und drei Jahren alt. Bedingt durch Mundpropaganda und Empfehlungen erfreut sich das Ehepaar eines wachsenden Kundenstamms.  

Alexander Jank und Xiajie Jiang im Gespräch in ihrem Polymind-Büro.Viele Lehrbücher übergehen die Andersartigkeit der verschiedenen Sprachfamilien. Was im Chinesischen selbstverständlich ist, hinterlässt bei westlichen Schülern oftmals nur Fragezeichen. Jank und Jiang wollen mit Polymind diese Verständnislücke schließen. (Foto: Robert Gafgo)

Sonnenaufgang im Osten … 

Unter der Menge an Erfolgsmeldungen entsteht beinahe der Eindruck, der Anbruch eines „Chinesischen Jahrhunderts“ steht kurz bevor. Im jährlichen Soft-Power-Ranking der Unternehmensberatung Brand Finance verdrängte China 2025 erstmals Großbritannien vom zweiten auf den dritten Platz.  

Soft Power, zu Deutsch: „sanfte Macht“ steht für die Fähigkeit einer Nation, internationalen Einfluss auf Entscheidungsträger und Gesellschaften auszuüben, ohne dabei militärische oder wirtschaftliche Druckmittel anzuwenden. Stattdessen soll wirtschaftliche Stabilität, die eigene Attraktivität und ein gutes Image die Herzen gewinnen. Ein Paradebeispiel dafür ist der American Way of Life, der zu Zeiten des Kalten Krieges mit Blue Jeans und Rockmusik Sehnsüchte in Ostblockbürgern erweckte. 

Zwar sind die USA weiterhin an der Spitze der Soft-Power-Nationen, doch könnte der, um Chinas Präsidenten Xi Jinping zu zitieren, „Chinesische Traum“ den American Way of Life als kulturellen Wegweiser ablösen?  

„Von einer kulturellen Supermacht kann meines Erachtens keine Rede sein“, entgegenet Jean Christopher Mittelstädt, Professor für Sinologie an der Universität Zürich. Zwar vollziehe sich auf wirtschaftlicher Ebene eine deutliche Ausweitung chinesischer Präsenz, insbesondere in Schlüsselindustrien wie der Automobilbranche oder erneuerbarer Energien, „Doch im kulturellen Bereich verläuft die Entwicklung in die entgegengesetzte Richtung.“ 

 … mit stagnierender Strahlkraft 

 „Anders als oftmals angenommen, ist Chinas globale kulturelle Ausstrahlung nicht im Aufschwung, sondern sie stagniert oder geht vielerorts sogar zurück“, sagt Mittelstädt. Die jüngste Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Pew Research Center vom Juli 2025 verdeutlicht den Trend. 

In Deutschland haben 67 Prozent der Befragten eine negative Meinung gegenüber China und nur 29 Prozent eine positive. In Frankreich sind es 58 Prozent negativ zu 36 Prozent positiv. Eine mehrheitlich wohlwollende Haltung findet sich in Europa nur in Griechenland mit 56 Prozent und Ungarn mit 51 Prozent. Weltweit fällt das Bild gemischter aus. In Subsahara-Afrika und Lateinamerika ist Chinas Ansehen tendenziell höher.  

Im Vergleich zum Vorjahr verzeichnen die Bewertungen für China zwar einen positiven Anstieg, das sei aber, so der Professor, eher auf die US-Außenpolitik unter Präsident Donald Trump zurückzuführen.  

Auch beim Sprachenlernen sei kein Boom erkennbar, fährt Mittelstädt fort. Die Zahl der Lernenden stagniert oder sinkt. In Deutschland lernen laut dem Bildungsnetzwerk China derzeit rund 5.000 Schüler und Studierende Chinesisch. Dagegen lernen 470.000 Spanisch und knapp 100.000 Russisch. Für den gesamten DACH-Raum schätzt das Netzwerk die Zahl auf 10.000.  

„Chinesisch hat im Gegensatz zu Japanisch oder Koreanisch kulturell kaum positive und popkulturelle Assoziationen“, erklärt Mittelstädt. Einzelne Phänomene wie Videospiele oder Plüschfiguren würden trotz ihrer starken Präsenz an dieser strukturellen Schwäche wenig ändern. „Soft Power sieht anders aus.“ 

Strategisch ernüchternd 

 Auch strategisch fällt die Bilanz verhalten aus. Die weltweite Expansion der KonfuziusInstitute, einst zentraler Bestandteil von Chinas Soft-Power-Diplomatie, erlitt in den vergangenen Jahren herbe Rückschläge. Zur Blütezeit unterhielt China rund 500 Niederlassungen in mehr als 160 Staaten an lokalen Universitäten und Schulen. Ziel der Non-Profit-Einrichtungen war die Vermittlung chinesischer Kultur und Sprache nach den Vorstellungen der Kommunistischen Partei Chinas. Inzwischen erfasste eine Welle der Schließungen die Einrichtungen. 

Im Bild ist eine Steinstatue von Konfuzius.Die Institute mit dem prominenten Namenspaten unterhalten in Österreich bis heute Niederlassungen an der Grazer Hochschule und an der Universität Wien. (Foto: Shutterstock)

Von ursprünglich 118 Instituten schlossen 104 in den USA. In Europa stehen viele Niederlassungen unter Druck. Kritiker werfen die Verbreitung von Propaganda, finanzielle Einflussnahme auf Universitäten sowie Spionage und die Überwachung von Auslandschinesen vor. Sprachkurse, politische entschärfte Kulturveranstaltungen und Pandabären sollen, so die Vorwürfe weiter, in Wahrheit von den Menschenrechtsverletzungen des chinesischen Regimes ablenken.  

Nur in Afrika, dort, wo China wirtschaftlich verstärkt investiert, lässt sich noch ein Ausbau beobachten. Hier geht die kulturelle Diplomatie so weit, dass China inzwischen eigene Auslandsfernsehsender wie CGTN Africa mit Sitz in Nairobi unterhält. Das Bild der globalen „Kultur-Supermacht China“ steht auf wackligen Beinen. Wirtschaftliche Dominanz und kulturelle Strahlkraft folgen unterschiedlichen Gesetzen.  

Nähe trotz Distanz 

 Zurück nach Wien. In Chinas Aufstieg sieht das Polymind-Ehepaar Xiajie Jiang und Alexander Jank weniger die Ablöse Amerikas als einen Wandel von einer unipolaren zu einer multipolaren Welt. „Lernen Schüler Chinesisch, geschieht das nicht aus einer Abneigung gegenüber Amerika“, so Jiang. Vielmehr sei die englische Sprache durch das Internet für viele Kinder und Jugendliche zu einer Selbstverständlichkeit geworden.  

Vor allem ist dem Ehepaar der Brückenschlag zwischen den Kulturen wichtig. Ihre Kinder erziehen sie auf Deutsch, Chinesisch und Englisch. Eine europäische Entkopplung von China, wie sie in der politischen Rhetorik des „De-Coupling“ und „De-Risking“ regelmäßig anklingt, sei realpolitisch schwer umzusetzen. Letztlich ist ein Leben ohneeinander in einer globalisierten Welt kaum noch möglich.  

Aus optimistischer Sicht liegt darin die Chance, voneinander zu lernen. „Von Europäern können Chinesen lernen, offener zu sein und die Angst vor Fehlern abzulegen“, sagt Jiang. „Ich bin inzwischen viel mutiger geworden und traue mich, Neues auszuprobieren.“ 

„Andererseits sind Chinesen sehr zielstrebig und auf die Gemeinschaft orientiert, das könnten wir Europäer lernen“, fügt Jank hinzu. „Der westliche Individualismus ist an sich nichts Schlechtes, doch würde es vielen Menschen guttun, nicht immerzu an sich selbst zu denken.“ 

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